Die Spielwütigen (Andres Veiel, 2004)

„Die Spielwütigen“ (2004) von Andres Veiel

„Danke!“ sagt die Prüferin im Auditorium. Sanft und freundlich eigentlich. Aber für die Leute oben auf der Vorsprechbühne, rast dieser Dank nieder wie ein Fallbeil auf den blanken Hals. Mit einem Mal ist das Vorsprechen vorbei. Alles, was noch zur Sprache kommen sollte, was mühsam einstudiert war, was so sehr am Herzen lag, wird keine Worte mehr finden können. 25 bis 30 Leute sollen aus mehr als 1000 Bewerbern ausgesucht werden. Da bleibt wenig Zeit. Die Prüfer der Schauspielschule beginnen, auf ihren Notizzetteln herumzukritzeln. Die Bewerber schleichen von der Bühne. Das war’s. ― Oder auch nicht?

Der neue Dokumentarfilm von Andres Veiel („Blackbox BRD“) ist ein großartiger Entwicklungsroman, der eine Zeitspanne von sieben Jahren verfolgt. Er zeigt die harten Lehrjahre eines Quartetts von Schauspielschülern ― Constanze, Prodromos, Karina und Stephanie ―, die sich 1996 an der Ernst-Busch-Schule in Berlin beworben und im vergangenen Jahr ihren Abschluss gemacht haben. In allen vier Fällen kann man eine Entwicklung beobachten, die von glühendem Enthusiasmus über Wut, Frust, Hass bis zum erschöpften Happy End reicht. Dabei finden sich bewegende success stories, wie man sie sonst nur aus dem Hollywood-Kino kennt ― und das in einem deutschen Dokumentarfilm. Stephanie Stremler, zum Beispiel. Anfangs gescholten wegen Sprachfehlern, Koordinationsschwächen und der falschen Größe. Am Ende schafft sie es zu Hauptrollen am Staatstheater in Kassel.

Doch der Weg dorthin ist unbequem. Die Schauspielschule erweist sich zunehmend als eiserne Disziplinierungsanstalt. Wer hier aus der Rolle fällt, wird abgemahnt. Wer dreimal abgemahnt ist, fliegt. Auf einmal hört man selbst das stählerne Selbstbewusstsein des unerschütterlichen Prodromos bröckeln: „Geht es darum, jemanden zu brechen?“ fragt er seinen Lehrer, nachdem der ihn durchfallen ließ. Die Schule mutiert zum Gegner. Seelenkriege beginnen. „Man ist verfügbar für die“, sagt Constanze. Manchmal kann man es beinahe verstehen, dass sich die Schule den Kameras von Andres Veiel nur ungern öffnete: Die Autoritäten (oder auch: „die Pfeifen“, wie Prodromos sagt) lassen sich ungern in die Karten schauen.

Immer wieder schiebt Andres Veiel intime Momente dazwischen, in denen er den Schauspielschülern auf den Leib rückt. Mit der unbarmherzig weiterlaufenden Kamera stachelt er sie an, zum Nachdenken über sich selbst ― und versucht so, einen Blick auf ihr bloßgelegtes Innenleben erhaschen zu können. Das ist nicht ganz einfach bei Leuten, die schon von Berufs wegen Masken auflegen und ein intimes Verhältnis mit der Kamera pflegen. Aber das macht die Sache natürlich erst richtig spannend. Denn schnell verschwimmen die Grenzen, an denen man noch eindeutig sagen könnte: Hier sind die vier noch völlig sie selbst und hier setzen sie sich bereits als ihr eigener Regisseur in Szene. Stephanie, die Komische; Prodromos, der Selbstbewusste; Constanze, die Nachdenkliche ― sind das Rollen, in denen sie sich selbst schauspielend interpretieren?

„Die Spielwütigen“ ist weniger brisant als „Blackbox BRD“, Veiels Doppelporträt des Terroristen Wolfgang Grams und des Bankiers Alfred Herrhausen. Aber das kann man dem Film nicht ernsthaft als Vorwurf machen. Dafür sind die Themen zu weit entfernt. Als psychologische Studien über Passionen und Obsessionen sind sich die beiden Filme dann doch wieder sehr nah ― was „Die Spielwütigen“ zu einem Höhepunkt des Berlinale-Panoramas macht. Selten hat ein Film Faszination und Frustration, Traum und Alptraum des Schauspielerberufs so genau auf den Punkt gebracht. Und das bei Nachwuchsschauspielern, die den Beruf noch gar nicht richtig begonnen haben.

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