Dominik Graf (Dezember 2002)

Der Regisseur Dominik Graf gilt seit Jahren als einer der besten deutschen Filmemacher. In den 80er Jahren gewann er mit dem Action-Thriller „Die Katze“ (1988) den Bundesfilmpreis. Nach dem finanziellen Desaster seines letzten Kinofilms „Die Sieger“ (1993) hat Graf jedoch ausschließlich fürs Fernsehen gearbeitet ─ mit großem Erfolg. Filme wie „Der Skorpion“ (1997) und „Deine besten Jahre“ (1999) wurden mehrfach ausgezeichnet. Neben Spielfilmen hat Graf zuletzt auch zwei sehr persönliche, essayistische Filme vorgelegt: „Das Wispern im Berg der Dinge“ (1998) über seinen Vater, den Schauspieler Robert Graf, sowie eine Ergründung seiner Heimatstadt, „München ─ Geheimnisse einer Stadt“ (2000). Sein neuestes Werk „Der Felsen“, mit dem Graf erstmals im Wettbewerb der Berlinale vertreten war und der morgen in die Kinos kommt, ist nun wieder für die Leinwand produziert.

Herr Graf, die Reaktionen der Berlinale-Kritiker auf Ihren neuen Film waren extrem gespalten. Enttäuscht?

Mir war einfach nicht klar, das der Film so einen Widerstand hervorrufen könnte. Dass er schwierig ist, war mir klar ─ was aber die Aggressivität der Reaktion noch nicht erklärt. Aber das war wohl meine Naivität.

Wie begründen Sie diese Aggressivität?

Wenn man unter dem Verdacht des Artifiziellen steht, wird es in Berlin besonders hart. Und wenn die Filme darüber hinaus nicht so sind, wie es sich die Berliner Zuschauer gerade vorstellen, werden sie ärgerlich und schreien etwa: „Was wir jetzt in Deutschland brauchen, ist doch intelligenter Mainstream!“ Und wenn ich solche Ordnungssysteme dann auch noch im Gehirn eines Kritikers wittere, reagiere ich empfindlich.

Ihr Film wurde auch bei der Nominierung für den deutschen Filmpreis in der Sparte „Bester Film“ übergangen. Hat Sie das geärgert?

Ich hab mich gewundert, dass der Film zwar fünf mal in Einzelkategorien nominiert war, nicht aber als „bester Film“. Dass er dann keinen Preis bekommen würde, war mir recht klar. Erstens gab es zu starke Gegner. Und zweitens fehlt dem Film wohl die Konsensfähigkeit eines solchen Gremiums.

Meinen Sie, dass man für die Entscheidungen des Deutschen Filmpreises eine Filmakademie bräuchte, wie sie Bernd Eichinger kürzlich ins Spiel gebracht hat?

Ja, ich denke schon. Ich weiß zwar nicht, ob die Ergebnisse dann viel schlauer werden. Aber man weiß zumindest vorher, dass die Leute ─ eigentlich ─ was vom Film verstehen.

Das tun die Jurys derzeit nicht?

Gucken Sie sich mal die Zusammensetzung von so einem Gremium an: Das ist eine komische Mischung aus Branche, Halbbranche und öffentlicher Meinung. Für manche Aspekte beim Film scheint einfach das Verständnis zu fehlen.

Kritik kam von Ihrer Seite zuletzt auch zum Zustands des deutschen Kinos.

Wenn in einer Filmindustrie so wenig Geld steckt wie in der deutschen, dann können wir es uns nicht leisten, so formalistisch im Hochglanz daherkommen zu wollen wie die amerikanischen Produktionen. Der Regisseur Mike Figgis hat kürzlich gesagt: „Wenn heute einer zum Pissen geht, dann benutzt man dafür eine Kranfahrt.“ Wir sollten uns wieder viel stärker auf Themen und Figuren konzentrieren als auf die Herstellungsform. Die deutschen Filme sehen mir zu wertvoll und geleckt aus. Das ist dieser Look-Quatsch, den die Privatsender erfunden haben. Zusätzlich haben die Privatsender Anfang der 90er Jahre die Schauspielergagen extrem hochgedrückt. Weshalb man bei manchen Schauspielern jetzt sehen kann, wie sie mit der Herstellung wertvoller Emotionen ihre Tagesgage rechtfertigen.

Sie haben seit „Die Sieger“ keinen Kinofilm mehr gemacht. Dazwischen lagen 10 Fernsehfilme. Warum?

Ich habe bei „Die Sieger“ hautnah erlebt, wie schwierig der Kinomarkt geworden ist. Das hat mich sehr abgestoßen. Die Bandbreite dessen, was man als Mainstream an die Leute zu bringen versuchte, wurde immer kleiner. Ich dachte damals: Das Kino ist offenbar substanziell kaputt und es beginnt wie ein Dinosaurier zusammenzubrechen. Was stehen bleibt, ist dann das Knochengerüst von Filmen für die pubertierenden Massen. Fürs Kunstkino zu arbeiten, fand ich andererseits auch kein erstrebenswertes Ziel. Deshalb habe ich Fernsehfilme für die Primetime gemacht und versucht, deren Möglichkeiten zu erweitern.

Die Fernsehfilme „Der Skorpion“ und „Deine besten Jahre“ hätten im Kino besser gewirkt. Die Größe der Leinwand, das Kinogefühl im Dunkeln, die bessere Farb- und Bildqualität… Kein Argument für Sie?

Das war mir immer fremd. Ich habe mit der Kinoleinwand kein Liebesverhältnis. Ich habe ja selbst die halbe Filmgeschichte am Fernsehschirm gesehen und war genauso gebannt und fasziniert wie im Kino. Wenn man mit einem deutschen Film zehn Millionen Zuschauer haben will, muss man ins Fernsehen gehen. Manchmal denke ich dann, das ist doch etwas anderes, als dieses mühselige Zusammenkratzen von ein paar Häufchen in diesem Kino, ein paar Häufchen in jenem. Aber ich weiß natürlich, wie defätistisch solches Denken erscheint.

Könnte es sein, dass Sie sich nach der Enttäuschung von „Die Sieger“ gesagt haben: Im Kino ist die Kritik härter, es ist viel schwieriger ein großes Publikum zu erreichen ─ da ziehe ich mich lieber in den sicheren Hafen des Fernsehens zurück?

Natürlich auch. Der wichtige Punkt war aber ein anderer: Was mich damals beschäftigt hat, waren Genres wie der Polizeithriller. Das war ein Raum, der in Deutschland nie richtig besetzt war und von den Autorenfilmern leider nicht für würdig gehalten wurde. Außerdem fand ich die Polizeifilme und Thriller des 70er-Jahre-Kinos überragend: von „French Connection“ bis zu Melville. Ich wollte dem Polizeifilm in Deutschland ein gefährlicheres, ernsthafteres Gesicht geben. Bei „Die Sieger“ war die Frage: Interessiert es die Leute, dieses Genre in dieser anderen Form auch im Kino zu sehen? Die Antwort habe ich ja eindeutig bekommen. Von da ab war klar, dass ich dieses Ausdehnen der Genregesetze im Fernsehen versuchen werde. Der Absturz von „Die Sieger“ lag unmittelbar vor dem Tatort „Frau Bu lacht“, der im Fernsehen ─ mit dem selben Autor und mit derselben Art, die Thriller-Elemente zu verfremden ─ ein Erfolg wurde.

Warum also wieder der Schritt zurück ins Kino?

Beim Korsika-Film war immer klar, dass man so etwas nicht als TV-Movie realisieren kann. Das geht schon finanziell darüber hinaus. „Der Felsen“ ist außerdem im Kino doch an seinem Platz: Im Fernsehen würden bestimmte Unebenheiten geglättet und manche Dinge zu sehr komprimiert.

„Der Felsen“ verweist immer wieder auf die Konstruiertheit von Geschichten. Vertrauen Sie dem klassischen Erzählen nicht mehr?

Doch, natürlich. Das werde ich nun wirklich nicht in jedem Film so machen. Aber es war ja auch in der Romanliteratur des letzten Jahrhunderts so, dass irgendwann die Uhren der Erzähler auseinandergefallen und die Identitäten in Tausend Teile zersplittert sind. Wir können nicht mehr so tun, als wären wir im 19. Jahrhundert, wo man einer Figur völlig vorbehaltlos folgte und alles psychologisch untermauerte. Bei so einer einfachen Geschichte wie hier, in der ich einer Frauenfigur eine Woche durch ihre persönliche Krise folge, habe ich die Chance, um das Wesen der Figur herum Windungen zu drehen. Bei einer komplizierten Geschichte käme ich gar nicht auf die Idee, das zusätzlich mit selbst-reflexiven Spielchen zu umgeben.

Daher auch der ─ für manche irritierende ─ Off-Kommentar?

Der Off-Kommentar soll distanzieren: von der Nähe der DV-Tagebuch-Kamera in eine Vogelperspektive wegspringen. Das Publikum soll aus der Kontinuität der Stimmungen und Situationen geradezu herausfallen. Es geht darum, die knirschende Mechanik des Erzählens hörbar zu machen.

Dabei fällt auf, dass neben dem Off-Kommentar in Ihren letzten Filmen auch andere Stilelemente wiederkehren: rhythmisierende Schwarzblenden, Slowmotion, Standbilder.

Das hängt mit der immer weiter gehenden Fragmentierung von Geschichten zusammen. Ich bin in den letzten Jahren immer misstrauischer dem kontinuierlichen Fluss der Erzählung gegenüber geworden. Schwarzblenden, Standbilder und Slowmotion zersetzen das. Außerdem empfinde ich es persönlich als Zuschauer angenehm, Zwischenräume selbst füllen zu können.

Die Tonspur kommt im „Felsen“ sehr bedeutsam daher ─ von der wuchtigen Musik bis zum Off-Kommentar.

Es ist sicherlich so, dass in diesem Film auch ein großes Maß an Misstrauen gegenüber dem Bild steckt. Das ist ein Effekt der Arbeit mit der Digital-Videokamera, die wir hier ausprobiert haben. Ein DV-Bild hat eine ganz andere Wertigkeit als ein 35mm-Bild: Nichts ist klar und eindeutig; jeder Moment kann dir in die Unschärfe weggleiten. Die Hierarchie der Bilder ist aufgelöst. Wort und Musik kommen da wieder zu Hilfe.

Klingt kompliziert. Warum dann überhaupt das DV-Format?

Weil es eine unglaubliche Beweglichkeit hat. Weil es ein Mittel ist, sich den Schauspielern zu nähern, gleichsam, ohne dass sie es merken. Wenn ich mit einer ganzen Mannschaft und dem Apparat auf Schienen an sie heranfahre, sieht man das zwangsläufig in ihren Gesichtern. Die kleine DV-Kamera macht sie und uns freier. Die Schauspieler spielen den Bezug zur Kamera nicht mehr mit.

Prompt haben Sie auf der Berlinale-Pressekonferenz verkündet, künftig nur noch mit DV-Kameras zu arbeiten.

Da war ich etwas trotzig, weil sie alle direkt aus dem Kino kamen und sagten: „Wie seid ihr denn auf so etwas gekommen! Das ist ja furchtbar!“ Dabei gibt es im Fall von „Der Felsen“ ganz verschiedene Gründe dafür. Erstens inhaltliche: In Korsika und mit dieser Story bietet es sich an, eine Art Urlaubsvideo zu drehen. Zweitens wurde der Aufwand meiner Filme seit „Der Skorpion“ immer kleiner. Da war es logisch, irgendwann auf DV runter zu gehen. Und ein dritter Grund waren die übertriebenen Anfälle von Großkino der deutschen Filmindustrie in den 90er Jahren, dich mich beim flexiblen Arbeiten behindert haben. Ich bin eigentlich zu ungeduldig, um auf drei Stunden Lichtaufbau zu warten. Insofern bedeutet DV auch nur: Ich will schneller drehen können!

Sie haben kürzlich gesagt, dass die interessanten deutschen Filme der letzten Jahren wieder eine starke Tendenz zur persönlichen Geschichte aufweisen. Könnte man auch sagen: Der Autorenfilm kehrt zurück?

Ja, absolut. „Die Unberührbare“, „Die innere Sicherheit“, „Rossini“, „Winterschläfer“ ─ das sind alles klassische Autorenfilme.

Bei Ihnen lässt sich eine ähnliche  Bewegung beobachten: von Genrefilmen wie „Die Katze“ hin zu Projekten wie „Deine besten Jahre“ und Der Felsen“.

Eigentlich handelt es sich nur um eine Ausdehnung in eine andere Genre-Richtung: nicht mehr Thriller, sondern Melodramen. Andererseits ist mein Misstrauen gegenüber den Genres größer geworden, weil ich gesehen habe, was ich mit Genres alles nicht erzählen kann. Deswegen geht mir das Wort „Melo“ auch etwas schwer bei diesem Film über die Lippen. Ich glaube, dass ich das Genre als Grundriss benutze, dann aber ein anderes Haus darauf bauen muss.

Das Melodram ist im Gegensatz zum männlichen Polizeithriller ein Genre, bei dem Frauen im Mittelpunkt stehen. Warum dieser Wechsel im Geschlechterfokus?

Frauen stehen heute im Mittelpunkt der Entwicklung der Gesellschaft. Sie wollen gleichzeitig Beruf, Ehe, Liebe und Sex vereinen. Das ist eine interessante emotionale Selbstüberforderung, während die Männer nur müde danebenstehen und sich ratlos den Kopf kratzen. Das macht Frauen ─ über 20 Jahre nach den Melodramen Fassbinders ─ wieder zu Figuren im Zentrum des Feuers. Die Protagonistin Katrin aus „Der Felsen“ ist ein Beispiel.

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