Christoph Schlingensief – Ein Schiff wird kommen. „18 Bilder pro Sekunde“: eine Installation von Christoph Schlingensief im Münchner Haus der Kunst (2007)

Ein Schiff wird kommen
„18 Bilder pro Sekunde“: eine Installation von Christoph Schlingensief im Münchner Haus der Kunst

 Zählen wir also auf, was zu sehen ist. Zunächst: ein Bretterzaun, der das geheimnisvolle Innere vom Rest des Museums trennt. Hinter dieser Holzfassade dann Kabinen, in denen Christoph Schlingensief Teile seiner Vergangenheit preisgibt. Ein expressives Familienporträt hängt dort, das der 46-jährige Künstler als junger Mann gemalt und nun seinem kürzlich verstorbenen Vater gewidmet hat. Ein Schrank steht da, der Erinnerungen an einen Filmclub enthält – gegründet, als der Künstler noch Teenager war. Eine der Kabinen bleibt verschlossen. Warum, weiß man nicht. Der Parcours führt weiter vor einen Riesenaltar. Oben eine Abendmahlszene mit überdimensionalen Styroporjüngern in Gelb, die wie Große Brüder auf den Betrachter heruntersehen. Aber, halt, sitzt da nicht der Prophet Mohammed unter ihnen? Merkwürdig. Es heißt, die Figuren seien von einem brasilianischen Karnevalswagen inspiriert und per Schiff über den Ozean bis nach München verfrachtet worden. Ein umgekehrter „Fitzcarraldo“ gewissermaßen.

Darunter betritt man eine Art Höhle, die außen von einem Kreuzgang flankiert ist und in deren Innerem man sich fühlt wie unter Deck eines Dampfers. In kojenartigen Kabinen rattern 16mm-Filme in Endlosschleifen durch die Projektoren, bis das Material zerkratzt oder der Film gerissen ist. Wie es der Titel der Ausstellung verspricht: „18 Bilder pro Sekunde“. Es sind meist Schwarzweißfilme, die der Künstler auf seiner Reise durch den brasilianischen Urwald gedreht hat, als er kürzlich im Teatro Amazonas von Manaus Wagners „Fliegenden Holländer“ inszenierte. Das Bug dieses im Museum gestrandeten Amazonasschiffes schließlich ist mit Fernsehmonitoren bepflastert. Auf ihnen sieht man ungeschnittenes Material aus dem unfertigen Film „The African Twintowers“. Parallel. Nebeneinander. Untereinander. Überbordend.

So ungefähr sieht sie aus, die erste Museumsinstallation von Christoph Schlingensief. Als Ort hat sich der Gesamtkunstwerkler, der so gerne im braunen Urschlamm der Bundesrepublik wühlt („Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“), den einstigen Kunsttempel der Nationalsozialisten ausgesucht: das Münchner Haus der Kunst. Aber was will der Oberhausener manifest machen an diesem Ort? Nun ja, Schlingensief versteht die Ausstellung zunächst als weiteren Schritt auf seiner Rückkehr zum Film. Nach den Jahren am Theater und im Fernsehen, nach seiner Zeit als Tanzbär im Zirkus der politischen Provokation will er sich dem Medium nähern, in dem er ursprünglich begann. Dabei bringt Schlingensief wieder mal Gott und die Welt zusammen. Man könnte auch sagen: fast alles und noch viel mehr.

In seiner grandiosen Polemik „Das gemalte Wort“ hat sich der Schriftsteller Tom Wolfe einst über die Text- und Theorieabhängigkeit moderner Kunst beschwert. Aber selbst mit schmuckem Wortbeiwerk kommt der Besucher in Schlingensiefs Installation nicht weit. Nehmen wir die mysteriöse Zahl 18. Insgesamt 18 Kabinen. 18 Fernsehmonitore, auf denen 18 Stunden Film zu sehen sind. 18 Bilder pro Sekunde. Was verbirgt der Mann, der vor ein paar Jahren mit dem Programm „Aktion 18 – Tötet Politik“ für Aufsehen sorgen wollte, hinter dieser Zahlenmystik? In einem Begleitheft bemüht sich das Haus der Kunst um Aufklärung: „Unter deutschen Neonazis gilt die Zahl 18 als Geheimkürzel: Durch den ersten und achten Buchstaben des Alphabets ersetzt, ergibt sie die Initialen Adolf Hitlers. In Deutschland ist man ab 18 volljährig.“ Aha, interessant – aber ist uns damit weitergeholfen?

Freiheit ist immer auch die Freiheit des wild durcheinander Denkenden, sagt sich Schlingensief. Und so gerät auf seinem Amazonas-Schiff alles ins Taumeln: Film, Bilder, Filmbilder. Religion, Kunst, Kunstreligion. Richard Wagner und Werner Herzog. Trauma und Trauer. Brasilien, Afrika, Deutschland. Man kann diese Kunststrategie als hierarchiefreies Nebeneinander feiern, das es dem Betrachter überlässt, fröhlich und frei sein Interpretationsband zu knüpfen. Man kann daran aber auch verzweifeln. Denn wer alles denken darf, denkt manchmal nichts. An den vielen Besuchern, die nach, sagen wir, 18 Sekunden die Installation verlassen, sieht man: Die Betrachter nützen ihre Freiheit vor allem, um sich dieser Assoziationskunst schnellstmöglich zu entziehen. Schlingensief lockt den Besucher tief in den Dschungel seiner Anspielungen und Zeichen, wo er es ihm dann überlässt, sich alleine zurechtzufinden. Nur: wer geht schon gern im Urwald verloren?

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