Der Regisseur Denys Arcand gehört neben David Cronenberg und Atom Egoyan zu den bedeutendsten Filmemachern Kanadas. Er wurde am 25. Juni 1941 in Deschambault, Quebec geboren. Bekannt wurde er mit Filmen wie „Liebe und andere Grausamkeiten“ (1993), „Jesus von Montréal“ (1989) und „Der Untergang des amerikanischen Imperiums“ (1986), dessen Hauptfiguren auch in seinem neuen Film „Die Invasion der Barbaren“ im Mittelpunkt stehen.
Monsieur Arcand, viele Kritiker halten Ihre Filme für zynisch. Sind Sie ein Zyniker?
Ich habe diesen Vorwurf oft gehört. Doch ich versuche nur, das Leben um mich herum so wahrheitsgetreu wie möglich darzustellen. Oft träumen die Leute lieber und stellen sich die Wirklichkeit schöner vor, als sie ist. Und in vielen Situationen hoffen sie noch, wo ich die Hoffnung bereits aufgeben habe.
Vielleicht ist Ihr Blick auf die Welt einfach düsterer?
Ich weiß nicht, ob er tatsächlich so düster ist. Nehmen wir ein einfaches politisches Beispiel. Ich behaupte, dass wir im Zeitalter des Untergangs des amerikanischen Imperiums leben. Die Amerikaner regieren die Welt und werden das auch noch im nächsten Jahrhundert tun. Das hat zur Folge, dass sie alle zehn Jahre Krieg führen müssen: Korea, Vietnam, der erste Golfkrieg, Afghanistan, der zweite Golfkrieg. Irgendwann werden es Pakistan, Nordkorea und möglicherweise Kolumbien sein. Das ist für mich die Realität. Doch manche Leute sagen: Nein, es wird Frieden geben, weil es Frieden geben muss. Ich wünschte, ich könnte das glauben ― tue es aber nicht. Ist das deshalb düster?
Sie sprechen vom Untergang des amerikanischen Imperiums, sagen aber gleichzeitig, dass die USA auch das nächste Jahrhundert regieren werden. Ist das kein Widerspruch?
Nein, denn ich spreche vom Untergang dessen, was Amerika ursprünglich für seine Gründerväter bedeutete. Jefferson, Madison und all die anderen waren großartige Männer ― große Demokraten und unglaubliche politische Denker. Sie wollten eine Republik fern von Europa gründen, in denen die Leute Freiheit, Gleichheit und Glück finden konnten. Es war ein großer Traum. Doch heute gibt es in den USA nur noch wenig Demokratie. Wenn du kein Millionär bist, hast du keine Chance, in den Kongress gewählt zu werden. Es gibt einen rechten Flügel, der beängstigend ist. Die Armee ist riesig. Und die Amerikaner üben eine imperiale Vorherrschaft über die ganze Welt aus. Was die Macht betrifft, ist momentan natürlich kein Untergang zu erkennen. Aber auch der wird kommen: Weltweit Krieg zu führen, ist extrem kostenintensiv.
In Ihrem Film geht es auch um einen Verfall von Geist und Bildung: Den Höhepunkten in der griechischen Antike, der italienischen Renaissance und der amerikanischen Gründervätergeneration halten Sie die Situation von heute entgegen.
Intelligenz ist etwas flüchtiges. Man kann sie hie und da im Laufe der Geschichte entdecken. Doch heute sieht man sie nirgendwo: Es gibt weltweit keinen einzigen Politiker, dem ich folgen möchte, keinen einzigen Schriftsteller, auf dessen Bücher ich warten würde, keinen einzigen Philosophen, dessen Vorlesungen ich besuchen möchte. Das gilt auch für das Kino. Als ich jung war, konnte ich aufblicken zu Giganten wie Antonioni, Buñuel oder Bergman. Heute sehe ich ab und an einen guten Film, aber keine Giganten.
Eines der Hauptthemen Ihres Filmes ist der Unterschied zwischen den Generationen. Rémy, der Vater, ist ein Mann der Bücher. Sein Sohn Sébastien dagegen spielt Computer. Ein Bildungsverfall zwischen den Generationen?
Rémy hält seinen Sohn für einen Barbaren, da er niemals liest. Sébastien gehört jedoch einer völlig anderen Kultur an: Er arbeitet mit dem Computer, hat ein Handy und bewegt Geldströme von einer Kapitale zur nächsten. Für ihn hat die Welt keine Grenzen ― was ich keinesfalls verurteile. Aber den Vater, der mit Büchern und Ideologien aufwuchs, macht es wahnsinnig, einen solchen Sohn zu haben.
Auch in „Der Untergang des amerikanischen Imperiums“ gab es einen Seitenhieb gegen die Bildkultur der jüngeren Generationen. Man hat den Eindruck, Sie neigten Rémys Seite zu.
Das ist möglich. Ich bin in Rémys Alter, mein ganzes Leben war bestimmt von Büchern.
Rémy ist ein übriggebliebener Sozialist. Ähneln Sie ihm auch in dieser Hinsicht?
Nein, absolut nicht. Die Ideale des Sozialismus sind völlig unpraktikabel. Leider. Das Schlimmste am Kapitalismus ist nämlich, dass er zwar grausam und in menschlicher Hinsicht inakzeptabel ist ― aber dennoch funktioniert. Was also tun? Wie bekommen wir eine menschlichere Gesellschaft? Darüber denke ich in meinen Filmen nach.
Wie bei Pasolini und Scorsese ist bei Ihnen der Katholizismus ein wichtiges Thema.
Er hat in meinem Leben eine enorme Rolle gespielt, denn meine Eltern waren extrem katholisch. Meine Mutter war sogar Novizin in einem Kloster. Sie wollte Karmeliterin werden, einem der striktesten Orden. Meine gesamte Kindheit hindurch ging ich in die Kirche, manchmal sogar täglich. Mit 15 oder 16 habe ich das alles schließlich hinter mir gelassen. Doch auch wenn ich heute Agnostiker bin: Es gibt Dinge, die bleiben dir für immer. Als ich vor ein paar Jahren den Film „Jesus von Montreal“ drehte, merkte ich, dass ich immer noch Teile der Evangelien auswendig kann.
Es klingt wie ein Stereotyp, aber wird das Filmemachen dadurch zu einem Mittel, mit Ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen?
Filmemachen ist die teuerste Form der Psychoanalyse. Den Regisseuren werden Millionen von Dollar gezahlt, um Filme über ihre eigenen Probleme zu machen.
„Die Invasion der Barbaren“ ist Ihrer Tochter gewidmet. Warum?
Als ich 55 war, habe ich meine Tochter als Baby in China adoptiert. Ich bin also ziemlich alt für sie. Deshalb dachte ich mir, falls ich nicht allzu lange leben sollte und sie sich irgendwann fragen sollte, wer die Person war, die sie adoptiert hat, könnte dieser Film ein ziemlich adäquates Bild von mir abgeben.
Die Parallelen sind in der Tat auffällig: Wie Ihre Charaktere gingen Sie in die Jesuitenschule, haben Geschichte studiert, sind ein Intellektueller Anfang sechzig…
Die Figuren sind etwas jünger, eher Anfang fünfzig. Abgesehen davon: Ja, das bin alles ich, die älteren Frauen eingeschlossen.
Gilt das auch für die Episode mit der wunderschönen Archäologin aus China?
Ja, nur das sie in Wahrheit keine Archäologin, sondern eine Schauspielerin war. Nachdem sich China dem Westen öffnete, wandte es sich zunächst an Kanada. China sandte ein paar kulturelle Botschafter. Darunter war auch eine Theaterschauspielerin, die unglaublich schön war. Sie kam nach Montreal und keiner wusste etwas mit ihr anzufangen. Ich drehte damals Filme für das National Film Board, wo man wusste, dass ich vage marxistisch, maoistisch oder was auch immer war. Daher fragten sie mich, ob ich nicht für zwei Tage die Schauspielerin herumführen wolle. So kam es, dass ich das Mädchen traf ― und dabei, um ihr zu gefallen, die Tugenden der chinesischen Kulturrevolution pries! Wie unglaublich dumm. Danach habe ich nie wieder etwas von der Frau gehört.
War das die Ihre Form von, wie es im Film heißt, „Kretinismus“?
Haargenau.