Vier Freunde und ein Totentanz (2007)
Zur Berlinale-Hommage an Arthur Penn
Als plötzlich ein Vogelschwarm kreischend in die Luft stiebt, wissen die zwei: Diese Landstraße ist ein Hinterhalt. Panisch schießen die Blicke der Hintergangenen hin und her. In die Todesangst mischt sich ein letztes Mal der Ausdruck von Zuneigung und Begehren. Dann rattern – ta-ta-ta – die Maschinengewehrsalven. In Zeitlupe zucken die durchlöcherten Körper der Opfer durch die Luft. Die Geschütze der Texas Rangers lassen sie spastisch zappeln, als böten sie einen ekstatischen, expressiven Tanz dar. Nach dem infernalischen Lärm kehrt Ruhe ein. Bonnie und Clyde sind tot.
Diese Szene hat Geschichte geschrieben. Ihr Einfluss lässt sich nachvollziehen von Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ über „The Killer“ von John Woo bis zur bullet time in „The Matrix“. Gefilmt mit vier Kameras, die das Geschehen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufzeichneten, wird hier Gewalt als Tanz des Todes inszeniert. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war das klassische Hollywood als zu brav und unzeitgemäß entlarvt. Das New-Hollywood-Kino brach sich gewaltsam Bahn. Doch so berühmt diese Schlusssequenz und der Film „Bonnie und Clyde“ (1967) mit seinen Stars Faye Dunaway und Warren Beatty auch sind – das Bild des Regisseurs ist über die Jahre unscharf geworden und verschwommen. Völlig zu unrecht. Wenn die Berlinale jetzt Arthur Penn zu Ehren zehn seiner Filme zurück auf die Leinwand holt, wird deutlich: Das Werk des 1922 in Philadelphia geborenen Regisseurs, der vor über einem halben Jahrhundert noch beim damaligen Live-Fernsehen begann, ist alles andere als betagt und veraltet. Und das hat gute Gründe.
Beginnend mit seinem ersten Spielfilm, dem Billy-the-Kid-Western „The Left-Handed Gun“ (1957), hat Arthur Penn die Vor- und Nachteile abgewogen, die der Ausbruch aus dem stahlharten Gehäuse gesellschaftlicher Regeln mit sich bringt. Diese Thematik prädestinierte ihn für die counterculture revolution der sechziger und siebziger Jahre. In diesen beiden Jahrzehnten hat er seine besten Filme gedreht. In Zentrum von Penns Werk stehen die charismatischen Rebellen und Gesetzesbrecher, die Drifter und Außenseiterbanden, die Individuen am Rande der Gesellschaft. Zum Penn-Club des Anti-Establishments gehören Jack Nicholsons Pferdedieb aus „The Missouri Breaks“ (1976), Dustin Hoffmans weißer Indianer „Little Big Man“ (1970) oder Robert Redfords entflohener Häftling in „The Chase“ (1966). Die Hippies um den Liedermacher Arlo Guthrie in „Alice’s Restaurant“ (1969) finden sich ebenso darunter wie das unangepasste Quartett aus „Four Friends“ (1981). Sie alle verkörpern die Freiheit des aufbegehrenden Individuums. In ihrer Ungebundenheit werden sie durch die weiten Fluren Amerikas getrieben wie Strohballen im Präriewind. Nicht nur deshalb, sondern auch weil sich der Konflikt der Konventionen am besten dort verdeutlichen lässt, wo die Regeln am stärksten verwurzelt sind, spielen Penns Filme oft fernab der progressiven Städte.
Penn war hochsensibel für den raschen Wandel. Deshalb gibt es unter seinen Aufrührern immer wieder erstaunliche Frauenfiguren: die libertinäre Georgia in „Four Friends“, die offenherzige Jane aus „The Missouri Breaks“, die liederlichen Kleinstadt-Gattinnen in „The Chase“. Sie lassen einen Grad sexueller Fortschritts erkennen, vor dem die hinterhinkenden Männer hilflos kapitulieren. Das geht soweit, dass sich Clyde gegen Bonnies Avancen mit demütigenden Impotenzausflüchten wehren muss. Schon hier zeigen sich aber die konfliktreichen Folgeerscheinungen, die mit dem Abschütteln gesellschaftlicher Fesseln einhergehen. Und genau dieser Punkt ist es, der Arthur Penns Filme heute noch so brisant macht. Oder werde sie vielleicht gerade erst aufs Neue aktuell?
Der Ausbruch des Individuums wird bei Penn nie einseitig verklärt. Dafür ist er zu wenig Romantiker und zu sehr Realist. Stattdessen dreht er die schmutzige Kehrseite der Medaille immer mit um. Daher sind Bonnie und Clyde zwar ungebunden, aber zur ewigen Flucht verdammt. Deswegen lässt sich Billy the Kid von keiner Autorität dazwischenreden, wird am Ende aber von der Obrigkeit peinvoll zur Strecke gebracht. Deshalb leben die Hippies in „Alice’s Restaurant“ in fröhlich-frecher Völlerei, bis sich Ennui breit macht und die Sehnsucht nach Ruhe und Stabilität einkehrt.
In den sechziger und siebziger Jahren wurde das befreiende Element von Penns Filmen gefeiert. In unseren hochgradig individualistischen Zeiten, in denen der Verlust von Gemeinschaft und Bürgertum beklagt und das „Lob der Disziplin“ zum Bestseller gemacht wird, rückt plötzlich die dunkle Seite in den Mittelpunkt. Weil Penn in seinen Bilanzen immer Gewinn und Verlust vorrechnet, sind Lebenslust und Daseinsfrust untrennbar verflochten. Jähe Stimmungsumschwünge kennzeichnen fast alle seine Filme. Die Schelmen-Geschichte „Little Big Man“ mit ihrem Twainschen tall-tale Humor gehört zu den komischsten Western des amerikanischen Kinos – bis sich wieder mal urplötzlich Gewalt gegen Indianer entlädt. In „The Missouri Breaks“ spielt Marlon Brando einen exzentrischen Kopfgeldjäger, dessen tuntige Schrulligkeit einer Lachnummer gleicht – außer er bringt sein Präzisionsgewehr in Anschlag. Und „Bonnie und Clyde“ funktioniert über weite Strecken wie eine Gangster-Komödie – bis der Vogelschwarm kreischend gen Himmel fliegt.