Manchmal lohnt es sich, bei A anzufangen. Zum Beispiel bei Aristoteles. In seiner Nikomachischen Ethik trifft der Philosoph eine berühmt gewordene Unterscheidung zwischen drei Formen der Freundschaft: die Freundschaft, die den Anderen als nützlich betrachtet; die Freundschaft, die das Zusammensein als lustbringend empfindet; und die Freundschaft, die den Freund wegen seiner tugendhaften Werte umarmt. Insofern sollte man Kyle getrost raten, schleunigst die Hände von seinem best buddy Mike zu lassen. Denn Mike ist im Grunde die Verkörperung des Sprichwortes: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feind mehr. Aber wie in der Liebe ist es auch in der Freundschaft nicht immer leicht, einen Schlussstrich zu ziehen. Und wie die Liebe kennt die Freundschaft schwer erklärbare Affinitäten, die umweht sind von einem Hauch des Irrationalen. Nicht zuletzt diese Einsicht in 97 unterhaltsame Minuten gepackt zu haben, macht die amerikanische Komödie The Climb zu einer sehenswerten, schrulligen und schwarzgalligen Reflexion über das Befreundetsein.
Der Film beginnt in den Bergen oberhalb der Côte d’Azur. Mike und Kyle kämpfen sich auf ihren Rennrädern eine Steigung hoch. Und schnell wird klar: Freundschaft kann ein langer, gemeinsamer Anstieg Richtung Gipfel sein, aber dann auch wieder steil bergab gehen. Denn Mike gesteht dem atemlosen Kyle, der kurz vor der Hochzeit noch einen Urlaub mit seinem Freund und Trauzeugen macht, schon seit Jahren eine Affäre mit dessen Künftiger zu haben. Das kommt naturgemäß nicht gut an. Und doch möchte der gutmütig-gemütliche Kyle, der später noch weitere Nackenschläge einstecken wird, dem (selbst-)zerstörerischen Freund Mike vergeben. Ein Auf-und-Ab wie eine Bergetappe der Tour de France.
Da Mike von Regisseur Michael Angelo Covino und Kyle von Kyle Marvin gespielt werden, die auch im echten Leben Freunde sind und gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, liegt die Frage nahe: Wurde hier Autobiographisches verarbeitet? Covino und Marvin haben The Climb in sieben Episoden aufgeteilt und mit lakonischen Kapitelüberschriften wie „I’m sorry“, „Let’s go“ oder „Stop it“ versehen. Der Film macht dabei mal größere, mal kleinere Sprünge in der Zeit und hüpft von einem emotional aufgeladenen Schauplatz zum nächsten: ein Begräbnis, ein Thanksgiving-Fest, ein Weihnachtsabend, eine Silvesternacht, ein Junggesellenabschied oder eine kirchliche Trauung. Der Film fügt sich dabei geschmeidig in die Genrelandschaft der amerikanischen Gegenwartskomödie: Man kann das Duo Mike und Kyle vielleicht am besten als eine Kreuzung der von Will Ferrell und John C. Reilly gespielten Trottel aus Adam McKays Komödien und der schluffigen Hipster-Jammerlappigkeit des Wes-Anderson-Universums beschreiben. Schon Kyles Stimme erinnert stark an John C. Reilly, und Mikes schnauzbärtige Ähnlichkeit mit Anderson-Darsteller Jason Schwartzman dürfte am Anfang des Films kaum Zufall sein.
Mit Wes Anderson teilt Regisseur Covino noch ein paar andere Vorlieben, etwa das Faible für den fein abstimmten Einsatz von Farben: warme Braun-, Grün- und Gelbtöne für Kyle, eher kaltherziges Blau, Rot und Weiß für Mike. Und wer wissen will, wie weit Gemeinheit und Vergebung in diesem Zusammenprall zweier Formen von Männlichkeit gehen können, sollte am Ende bei den Kleidungsfarben von Kyles Sohn genau hinsehen. Dass Mike von den Farben der französischen Trikolore umgeben ist, schlägt gemeinsam mit den vielen Chansons und Verweisen auf das französische Kino einen weiteren Bogen zu Anderson und dessen Frankophilie. Und auch die Liebe zum Retrodesign sticht als Gemeinsamkeit ins Auge, inklusive dem unvermeidlichen braunen Cord-Sakko.
Manchmal lohnt es sich, bei Z aufzuhören. Zum Beispiel bei Zach Kuperstein, dem Kameramann des Films. Gemeinsam mit Covino hat er sich den großen Clou des Films einfallen lassen: Die meisten Einstellungen sind in langen Plansequenzen inszeniert, wobei die mobile Kamera mehrfach ihren eigenen Willen entwickelt. Dann entfernt sie sich unversehens vom Geschehen, um irgendwas im Off aufzuspüren. Überhaupt spielt das, was sich jenseits des Bildkaders abspielt, oft eine verblüffende Rolle – zum Beispiel, wenn von dort plötzlich eine Gruppe schwarzer Sänger oder russischer Musiker ins Bild rücken. Auch wenn man kein Freund dieser beflissenen Musical-Nummern sein mag, eines ist klar: Dieser Film hat Stil.