Zwischen Fernsehalltag und dem Traum vom Kino (2001)
Eine Begegnung mit dem Drehbuchautor und Regisseur Peter Kahane
Ein Schreibtisch aus Holz in der Ecke. Darauf zwei Stapel Videokassetten, Briefe, ein dickes Drehbuch. In der Mitte ein grauer Laptop, der leise surrt. An der Rauhfasertapete kleben ein paar Erinnerungsstücke: ein Styroporflieger des Sohnes, Fotos, ein abgebrochenes Teil vom Grabstein seines Großvaters. Zwei Regale an der Wand. Sonst nichts. Ein kahler Raum, der vielleicht 10 Quadratmeter groß ist ─ der Arbeitsplatz eines Kopfarbeiters, eines Geschichtenerfinders, eines Filmerdenkers. Ab acht, manchmal neun Uhr sitzt er hier jeden Morgen. Eine zusammengelegte Decke auf dem Bürostuhl macht das Sitzen bequemer. Dann denkt und tippt und denkt und tippt er. Muß ein einsamer Job sein: Drehbuchautor.
Peter Kahane wuchs in Ostberlin auf. Mit 15 Jahren wußte er, dass er Filme machen wollte. Er ging auf die Filmhochschule in Babelsberg und wurde Regisseur. Festangestellt im Staatsbetrieb. Er drehte Filme wie „Ete und Ali“ und „Die Architekten“. Doch dann kam die Wende, und die Regisseure der DEFA wurden gefeuert. Kahane stand plötzlich auf der Straße. Im Westen kannte er keine Produzenten, die Produzenten kannten ihn nicht. „Ich war erstmal ratlos“, sagt er. Mit 40 Jahren von vorne anfangen. Kahane kaufte sich einen Atari-Computer, obwohl er das Tastatur-Tippen nicht beherrschte und von Computern keine Ahnung hatte. „Ich wollte die Arbeitslosigkeit durch Schreiben kompensieren!“ sagt er. So wurde er Drehbuchautor.
Ein Autodidakt, der Syd Field und die anderen Lehrbuch-Klassiker nicht kannte. Das gibt es heute nicht mehr oft in einer Zeit, an der man das Drehbuchschreiben an Volkshochschulen lernen kann. „Ich mußte ja überleben. Aber eigentlich sollte es nur ein Zwischenstadium sein, um wieder Fuß zu fassen“, erzählt Kahane. Als Regisseur hat er seitdem kaum gearbeitet. Mehr als zehn Jahre schreibt er jetzt Fernseh-Drehbücher. Fast immer Krimis: „Peter Strohm“, „Von Fall zu Fall“ und „Polizeiruf 110“.
„Wir sind einfach ziemliche Langweiler“, hat William Goldman, der die Skripts von „Der Marathon-Mann“ und „All the President´s Men“ geschrieben hat, über die Drehbuchautoren gesagt. Keine Schlagzeilen, keine Stars, keine Exzesse. „Ein einsamer Job. Man zieht sich zurück, bis man irgendwann Kommunikationsschwierigkeiten kriegt“, sagt Kahane und lacht dabei. Manchmal kommt auch noch eine Schreibblockade dazwischen. Dann wandert er in seinem kleinen Arbeitszimmer auf und ab, stiert die Wände an und zieht die schweren Vorhänge zu, um keine Sonnenstrahlen durch die großen Fenster seiner Wohnung in Prenzlauer Berg dringen zu lassen.
Selbstverliebtheit ist schädlich in diesem Beruf, Empfindlichkeit ist Gift. „Es ist ein Dienstleistungsjob. Die Selbstverwirklichung ist gering. Wer sich damit nicht abfinden kann, muß Romane schreiben“, erklärt Kahane. Noch kein einziges Mal ist es ihm gelungen, dass ein Drehbuch unverändert verfilmt wurde. Neun Neufassungen ist sein Rekord. Die Fernsehredakteure, die Producer, die Regisseure ─ alle haben ihre eigenen Ideen. Und bei Serien kommen sogar die Schauspieler noch daher. Doch andererseits werden Drehbuchautoren nicht ganz schlecht bezahlt: 30 bis 50.000 Mark brutto pro Drehbuch. Wer einen „buy out“ macht, also alle Rechte abgibt, bekommt das Doppelte. Und wie in jeder Berufsgruppe gibt es auch hier eine Hierarchieleiter, auf der man nach oben klettern kann. Autoren von Daily Soaps, Sitcoms und Weekly Soaps sitzen auf den untersten Sprossen. Weiter oben kommen die Drehbuchschreiber von Krimis und Fernsehfilmen. „Aber der Himmel ist das Skript für einen Kinofilm“, sagt Peter Kahane.
Kahane liebt seinen Job. Aber im Moment kommt er nicht so recht raus aus der Schublade, in die er gepackt wurde: Der Kahane, das ist doch der Krimiautor! [Satz kursiv] Dabei würde er gerne wieder was anderes machen, schreiben und [kursiv] drehen. Auf der Festplatte seines Laptops hat er ein paar Lieblingsprojekte gespeichert: Dramen über eine ostdeutsche Provinzstadt oder den Widerstand gegen die Nazis. Immer nebenher geschrieben. Doch es ist zum Verfluchen: Knapp ein Dutzend Treatments und Drehbücher hat er angeboten ─ nichts! Man läßt ihn nicht. Und da kann man dann schon verstehen, dass Peter Kahane, der ruhige, freundliche Mann mit den silbernen Locken, auch mal ein bißchen wütend wird.
„Wenn man alle deutschen Fernsehfilme nacheinander sehen würde, wüßte man nicht in welchem Land sie spielen. Es wäre ein sehr ulkiges, freundliches Land mit lauter kleinen Familiengeschichten. Im deutschen Fernsehen herrscht eine Riesenangst vor der sozialen Realität, die Gegenwart wird verdrängt.“ Wenn er die elf Jahre seit der Wende zurückblickt, sieht Peter Kahane zwei positive Dinge: eine Steigerung der Quantität und eine größere handwerkliche Qualität. Doch gleichzeitig wird immer stromlinienförmiger produziert, vor der Quote gebibbert und ins Nachtprogramm abgeschoben. Und: „Die Sender schauen voneinander ab wie wir einst in der Schule.“ Wo bleiben Neugier und künstlerischer Anspruch ─ auch bei den Großroduktionen der Öffentlich-Rechtlichen? „Es kommt mir vor als würde man da sein schlechtes Gewissen zur Schau stellen. Das sind Feigenblatt-Produktionen.“
Da beißt einer die Hand, die ihn füttert. Nicht wie ein fieser Kampfhund. Peter Kahane schnappt eher wie ein stolzer Schwan danach, dessen Ehre ein wenig gekränkt wurde. Denn Kahane hat einen Traum, der mit dem grauen Fernsehalltag nicht viel zu tun hat. Am Boden seines Arbeitszimmers steht eine Urkunde, die er von „Variety“ für die Regie seines letzten Kinofilms „Bis zum Horizont und weiter“ bekommen hat: die zehn europäischen Filme, die man 1999 gesehn haben sollte. Peter Kahane wischt sanft mit dem Unterarm über das Glas des Rahmens. Das Kino: der Traum! „Das Kino ist im Vergleich zum Fernsehen wie eine große Maschine, die viel mehr Hebel hat, an denen man unbefangener drehen und spielen kann.“ Nur zweimal hat er seit der Wende an der Kinowundermaschine drehen dürfen. „Doch davon zehre ich im Fernsehalltag“, sagt er. „Wer das einmal gemacht hat, will da immer wieder hin.“