“Frost/Nixon” (2008) by Ron Howard
Ein Fan von Richard Nixon war Joschka Fischer nie. Während der US-Präsident Vietnam und Kambodscha mit Flächenbombardements übersäen ließ, zog Fischer wild protestierend durch die Straßen Frankfurts. In der Hitze des Gefechs flogen bekanntlich auch mal Knüppel in Richtung Polizei. Im März 1973 war das. „Nixon war für mich des Teufels: ein Monster“, sagt Fischer. Mit dunklem Anzug und dunklem Hemd sitzt er in einem roten Ledersessel. Hinter ihm glitzert der Vorhang des Kinos International. Die American Academy hat den einstigen Bundesaußenminister, zusammen mit dem Drehbuchautor Peter Morgan, zur Premiere des Films „Frost/Nixon“ eingeladen. Fischer als Filmkritiker? Nur ein Schuft käme in diesem Moment auf die Idee, Fischer habe sich in gehobenem Alter nochmal für einen anständigen Beruf entschieden. Sein Urteil: „Ein fantastischer Film.“
Der Brite David Frost war in den 60er und 70er Jahren ein bekannter Gastgeber von Prominenten-Talkshows. Als seine Karriere Mitte der 70er Jahre ins Stocken geriet, entschied er sich für den großen Sprung nach vorne. Er kratzte 600.000 Dollar zusammen und überredete den an Rehabilitation interessierten Nixon zu einem Interview. Frost wollte jenem Mann ein Schuldgeständnis entlocken, der sich wegen des Watergate-Skandals schmachvoll, aber reuelos aus dem Amt zurückgezogen hatte. „Als Ersatz für eine echten Prozess“, wie Joschka Fischer sagt. Im März und April 1977 sammelte Frost an 12 Drehtagen knapp 29 Stunden Material, die dann zu vier 90-Minuten-Sendungen zusammengeschnitten wurden. Zeitweilig sahen 45 Millionen Amerikaner zu.
Jetzt also: „Frost/Nixon“. Nur ein hauchdünner Schrägstrich hält die beiden Namen im Titel auseinander – beinahe als würden sie sich im Schweiße ihres Angesichts berühren. Der Drehbuchautor Peter Morgan, der für diesen Film sein eigenes Theaterstück adaptiert hat, deutet diese Nähe mit einem fiktiven Telefongespräch zwischen den beiden an. Darin betont Nixon, dass sie beide Außenseiter aus bescheidenen Verhältnissen seien, die sich gegen das Establishment der Snobs durchsetzen müssten. Doch diese Gemeinsamkeiten verblassen angesichts der Unterschiede. Auf der einen Seite: der smarte Hallodri Frost. Ein Mann mit Perlweißlächeln, modischen Anzügen, geschmeidigen Sprüchen, von Michael Sheen angemessen windelweich gespielt. Auf der anderen Seite: der wenig telegene Nixon, den Joschka Fischer als „seltsamen Kerl“ bezeichnet: „so begabt und so betrügerisch.“ Genausogut hätte der Titel „Frost vs. Nixon“ heißen können. Denn um was es dem Film geht – und was ihn so eminent unterhaltsam macht – ist das Duell. Fliegengewicht gegen Schwergewicht. Showmensch gegen Politprofi. Breites Grinsen gegen gefrorenes Lächeln. Slick David gegen Tricky Dick.
Der Regisseur Ron Howard („Das Comeback“) nützt dafür die Dramaturgie des Sportfilms. Er schildert, wie sich David Frost sein Team zusammensucht. Wie er sich mit seiner Mannschaft zur Vorbereitung im „Beverly Hilton“ einquartiert. Wie er beim Interview von seinem Gegner dominiert wird, sich dann aber zurückkämpft. Und wie er schließlich dem Favoriten den entscheidenden Schlag versetzt und einen gloriosen Außenseitertriumph einfährt. Dazwischen gibt es Interview-Einschübe, die das Geschehen sportreportagehaft kommentieren. Anders als im Boxerdrama stiebt jedoch kein Zeitlupen-Schweiß durch die Luft. Allenfalls tupft sich Nixon ein paar Perlen von der Oberlippe. Der Schlagabtausch lebt von seinen rhetorischen und psychologischen Attacken: Argumente, verbale Tricks, Psychospielchen und Ablenkungen.
Ron Howard, oft ein versierter Handwerker mit Hang zum Sentimentalen, hat dabei fast alles richtig gemacht. Der geschmeidige Wort- und Bildfluss entwickelt sich schnell zur reißenden Strömung, deren Sog man sich nicht entziehen kann. Und auch einen doppelten Boden hat er eingebaut, der Raum für Vergleiche zwischen Nixon und George W. Bush bereitstellt. Ein Punkt, den auch Joschka Fischer hervorhebt. „An einer Stelle sagt Nixon: Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten etwas tut, ist es nicht illegal. So hat auch die Bush-Regierung nach dem 11. September argumentiert.“. Nur: „Die Bush-Regierung glaubt nicht, dass sie etwas falsch gemacht hat. Und hier liegt ein wichtiger Unterschied. Nixon hat am Ende gesagt: Ich habe das amerikanische Volk getäuscht.“
Gegen die fünf Oscar- Nominierungen – unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Regie“ – ist daher nichts nichts einzuwenden. Oder doch? Am Ende sitzt man überwältigt im Kinosessel – und wird von leisem Unbehagen beschlichen. Dieser verschrobene, aber irgendwie sympathische Kauz soll Richard Nixon gewesen sein? Der Kerl, der für die Eskalation der Vietnam-Bombadierung verantwortlich war? Der den verhehrenden Krieg nach Kambodscha ausweitete? Der in seiner Verfolgungsangst Gegner rücksichtslos ausspionieren ließ und mit Watergate das Vertrauen der Amerikaner in ihre Regierung massiv unterhöhlte?
Verantwortlich sind ein paar kleine, aber wirkungsvolle Veränderungen am Nixon-Bild. Erstens verleiht der Oscar-nominierte Frank Langella Nixon mit sackendem Gang und murmelnder, tiefer Stimme eine großväterliche Präsenz. Zweitens riefen Nixons kleine, schwarze Augen, die große Nase, seine dichten Augenbrauen und die starke Transpiration bei vielen Amerikanern körperliche Abscheu hervor – ein Affekt, den der Film zwar erwähnt, aber durch seinen gutaussehenden Hauptdarsteller umgeht. Und drittens präsentiert Langella das Schuldgeständnis als emotionales „mea maxima culpa“, während es im Original-Interview eher lavierend daherkommt,
Wenn Nixon am Ende den Tränen nahe ist, kann man sich des Mitleids nicht erwehren. Nach dem Duell verlässt er betreten den Ort seiner Niederlage. Auf der Straße streichelt er einen Dackel – und wirkt dabei selbst wie ein getretener Hund. Wie sagte Joschka Fischer nach der Vorstellung über den Mann, den er einst als Monster betrachtete? Der Film gebe einen tieferen Einblick in Nixons Persönlichkeit: „Mein Bild von Richard Nixon hat sich gewandelt.“ Soviel historischen Sanftmut hat der Mann dann doch nicht verdient.