Liebe lieber ungewöhnlich: Francesca Archibugis Romanverfilmung Il Colibrì ist eine traurig-lebensfrohe Feier des Lebens bis zum Tod
Der Kolibri ist ein winziger Vogel, der sich mit seinem aberwitzig schnellen Flügelschlag in der Luft auf der Stelle halten und sogar seitlich und rückwärts fliegen kann. «Kolibri» ist nicht ohne Grund der Spitzname von Marco Carrera (Pierfrancesco Favino), dem Protagonisten des italienischen Films Il Colibrì: Als jüngstes Kind war er lange zu klein für sein Alter – und noch Jahre später scheint er zu viel Energie darauf zu verwenden, nicht vom Fleck zu kommen und zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her zu schwirren. Was vergangen ist, lebt fort und hält Marco in einem Käfig gefangen: eine frühe Liebe, die ihn nie wieder loslässt; ein tragischer Tod, der ihn stets begleitet; eine Familie, deren traumatische Verwicklungen ihn für immer in ihrem Bann halten. Aber: Er weiß diesem Vogelbauer auch immer wieder zu entkommen.
Die Regisseurin Francesca Archibugi bietet in ihrer Adaption von Sandro Veronesis Roman «Il Colibrì» (2019) ein italienisch-französisches Star-Ensemble auf – neben Favino spielen unter anderem Bérénice Bejo, Elsa Morante und Nanni Moretti wichtige Rollen – und stimmt dabei trotz aller tragischer Turbulenzen und verheerender Zufälle eine Ode auf das Leben an. Die Melodie klingt packend, aber hat manchmal leise melodramatische Zwischentöne. Das Tempo ist mal andante, oft allegro, manchmal molto presto. Und der Rhythmus wirkt mit seinen ständigen Zeitsprüngen zwischen Kindheit, Jugend, Erwachsenenleben und Alter gewöhnungsbedürftig, für manch Zuschauenden mag er sogar, um im Kolibri-Bild zu bleiben, zu flatterhaft erscheinen. Das Ende ist dann aber von einer derartigen Wucht, dass man meint, es werde einem der Boden unter den Füßen entzogen. Traurig schön.
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