Das vergoldetere Zeitalter
Eine Herrschaft der Reichen: Kevin Phillips attackiert „Die amerikanische Geldaristokratie“
Kevin Phillips: Die amerikanische Geldaristokratie. Eine politische Geschichte des Reichtums in den USA. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. Campus, Frankfurt am Main, 2003. 476 Seiten, 29.90 Euro.
Wenn man in Newport, Rhode Island, die Ochre Point Avenue in Richtung Süden fährt, stößt man ziemlich bald auf ein Gebäude, das einem beinahe den Atem raubt. Am Ende der Kiesweg-Zufahrt baut sich vor einem ein Palazzo im Neorenaissance-Stil mit Arkadengängen, korinthischen Säulen und Pilastern auf. Nicht weniger als siebzig Zimmer hat dieses Haus. Und für die Kinder gibt es nebenan noch ein eigenes Gebäude, in dem eine Großfamilie Platz fände. Vor der Terrasse erstreckt sich eine mehrere fußballfeldergroße Rasenfläche mit gepflegten Hecken. Direkt dahinter tost der Atlantik: Only the sky is the limit. „The Breakers“, so der Name des Gebäudes, ist ein Symbol des privaten amerikanischen Reichtums. Und wie der Name andeutet: Es steht dort wie ein unverwüstlicher Fels des Geldes, an dem jegliche Brandung zerbricht. Keine Flut populärer Umverteilungsmaßnahmen kann dem Reichtum der oberen Zehntausend etwas anhaben ― und meistens herrscht in dieser Hinsicht sowieso eher Ebbe, glaubt man dem amerikanischen Publizisten Kevin Phillips.
Der Landsitz der Familie Vanderbilt wurde 1895 fertiggestellt, in der Zeit also als die Räuberbarone John D. Rockefeller, Andrew Carnegie und Henry C. Frick den Höhepunkt ihrer Macht hatten. Mark Twain nannte diese Epoche The Gilded Age, das vergoldete Zeitalter, weil sich unter der glänzenden Oberfläche rostiges Metall verbarg. Man brauchte nur ein wenig am Gold des Reichtums zu kratzen, um auf Armut und Elend zu stoßen. In seinem wütenden Buch „Die amerikanische Geldaristokratie“ greift Kevin Phillips nun auf diese Metapher zurück und bezichtigt die US-Gesellschaft, sich mitten in einem zweiten vergoldeten Zeitalter zu befinden. Mehr noch: Er nennt Amerika eine Plutokratie, eine elitäre Regierung der Reichen.
Die Zahlen, die Phillips vorlegt, sind erschütternd. Vor allem wegen ihnen lohnt sich dieses Buch. Zwei Beispiele: Während das ärmste Fünftel der USA seit den siebziger Jahren einen Rückgang des Nettoeinkommens hinnehmen musste, mehr als verdoppelte es sich beim obersten Prozent. Und während die effektiven Steuersätze für die Durchschnittsfamilie seit den fünfziger Jahren deutlich zugenommen haben, sind sie bei den Millionären von 85,5 Prozent auf rund 25 Prozent gefallen. Amerika sei mittlerweile unter den westlichen Industrienationen die Gesellschaft mit der größten sozialen Kluft, schließt Phillips daraus. Seine Aggressionen richten sich gegen Wall Street, die Megaunternehmen und die zunehmende „Finanzialisierung“ der USA, also den Niedergang der Industrie zugunsten des Finanzwesens. Besonders wütend wird er beim Gedanken an die „Erbaristokratie“ der Millionärsfamilien. Doch wenn man die Listen der Superreichen durchgeht, merkt man, dass Phillips ihnen zumindest in einer Hinsicht unrecht tut: Er unterschlägt die philanthropische Seite. Selbst Bill Gates, der reichste und ehemals geizigste Mann der Welt, hat sich mittlerweile zum Multimilliarden-Spender gewandelt.
Doch Phillips’ Philippika richtet sich nicht nur gegen die Upper Class, sondern auch gegen die Politiker-Kaste in Washington. Er geißelt die inzestuöse Nähe von Politik und Big Business. Er warnt davor, Demokratie mit Marktwirtschaft zu verwechseln. Und er prangert ein Demokratiedefizit an, das sich aus geringer Wahlbeteiligung und politischer Korruption zusammensetzt; das durch Wahlkämpfe verstärkt wird, die nur noch für eine Minderheit der Politiker erschwinglich sind; und das in ungewählten Richtern und Zentralbankern mündet, die immer mehr politische Macht zwischen die Finger bekommen.
Für all das hat Phillips sehr gute Argumente. Er breitet Tabellen aus, legt Statistiken vor, lässt zackige Indexe und Diagramme auf- und abschnellen. Das Buch ist zum Bersten gefüllt mit Zahlen. Und es trägt alle Anzeichen schweißtreibender Faktenarbeit. Doch leider lässt er die Graphiken nur selten für sich sprechen, sondern spricht ihnen noch mal alles nach. Durch nervenaufreibende Wiederholungen schwillt sein Buch auf über 470 Seiten an. Das macht diesen wackeren Text oft so schwerverdaulich wie, nun ja, einen Wackerstein.
Dazu kommt, dass Phillips zur merkwürdigen Geschichtsphilosophie des Spenglerismus neigt. Aus Vergleichen mit dem habsburgischen Spanien, mit Holland im 17. und 18. Jahrhundert, vor allem aber mit dem Großbritannien des 19. Jahrhunderts schließt er, dass Amerika kurz vor dem Untergang steht: „Der ökonomische, ideologische und militärische Triumphalismus der Vereinigten Staaten an der Jahrtausendwende erinnert an das Verhalten früherer Mächte kurz vor oder nach ihrem Höhepunkt, als alles aufs Schönste zu gedeihen schien.“
Kevin Phillips, 63, ist ein streitbarer Charakterkopf, der mit seinen Ecken und Kanten in keine Schublade zu passen scheint. Von links attackiert er die ökonomische Kluft in der Gesellschaft und fordert mehr soziale Gleichheit. Von rechts schimpft er auf das Fehlen protektionistischer Bollwerke, die der nationalen Wirtschaft als Schutzschild dienen sollen. Phillips hat in seinen Büchern oft den Finger auf aktuelle Trends gelegt. Bereits mit 27 Jahren schrieb er „The Emerging Republican Majority“, eine Studie, in der er den Zusammenbruch der alten Rooseveltschen Wählerkoalition voraussagte und die ihn ins Lager Richard Nixons trieb. „Die amerikanische Geldaristokratie“ ist nun sein zehntes Buch. Aber es ist nicht sein bestes. Und das liegt nicht nur an ihm.
Die deutsche Ausgabe ist so schlampig ediert, dass es dem Campus-Verlag eigentlich peinlich sein müsste. Der Erfinder Thomas Alva Edison verwandelt sich hier in „Thomas Anderson“. Aus dem Dramatiker Christopher Marlowe wird „Marlow“. Und die Europäische Zentralbank wandert von Frankfurt nach Brüssel. Darüber hinaus ist der Text gespickt mit Tipp-, Trennungs- und Grammatikfehlern. Keine Freude, das. Außerdem hätte ein Glossar ökonomischer Fachbegriffe dem Leser den Weg gebahnt. So muss er sich seinen Pfad durch ein dichtes Unterholz von Text freikämpfen, in dem Worte wie „Risikokapitalauslagen“, „Marktkapitalisierungen“ und „Nettokapitalgewinne abzüglich Nettokapitalverluste“ den Weg versperren. Bei einem Buch, das 30 Euro kostet und das von nichts anderem als vom Geld handelt, hätte der Verlag beim Lektorat ein bisschen weniger sparsam sein dürfen.