„Youth Without Youth“ von Francis Ford Coppola (2007)
Warum, bitteschön, dieses Buch? Schon die literarische Vorlage von Francis Ford Coppolas lange ersehntem neuen Film muss jedem Bewunderer des Regisseurs die Sorgenfalten – nein: den Angstschweiß – auf die Stirn treiben. Der berühmte rumänische Religionshistoriker und Teilzeitpoet Mircea Eliade zwingt in seinem schmalen Roman „Jugend ohne Jugend“ (1976) Bewusstseinsphilosophie und Psychoanalyse mit Kolportage und Esoterik zusammen, um dabei ein paar letzte und vorletzte Dinge zu erörtern. Das Ergebnis liest sich, als hätten der Dalai Lama und der Neurowissenschaftler Oliver Sacks eine Geschichte erfunden und diese von Dan Brown aufschreiben lassen: Apokalypse, GAU.
Der gealterte Wissenschaftler Dominic Matei (im Film gespielt von Tim Roth) wird eines Tages mitten in der Stadt vom Blitz getroffen. Anstatt als verkohlter Fleischklumpen von der Straße gekehrt zu werden, wacht er im Krankenhaus unter den freundlichen Blicken von Professor Stanciulescu (Bruno Ganz) auf und verjüngt sich von Tag zu Tag. Mehr noch: Seine kognitiven Fähigkeiten scheinen schier zu explodieren. Die elektrische Energie hat ihn auf eine künftige Evolutionsstufe katapultiert: voilà, der „post-historische Mensch“. Da wir das Jahr 1938 schreiben, werden auch die stets an neuen Menschentypen interessierten Nazis hellhörig. Ihr ureigenster Dr. Rudolf (André Hennicke) experimentiert selbst mit elektrischer Spannung herum. Doch irgendwie entkommt Matei den Nazis, überlebt den Krieg und landet in Indien, wo er einer Frau (Alexandra Maria Lara) begegnet, die kurze Zeit später in fremden Zungen zu sprechen beginnt. Weil auch sie als medizinische Sensation von Wissenschaftlern und der Presse gejagt wird, fliehen beide nach Malta, müssen sich aber irgendwann wieder trennen. Nach knapp 160 Seiten trudelt die Geschichte dann allmählich aus.
So weit, so bizarr. Erstaunlicherweise nimmt Coppola diesen Humbug weitgehend beim Wort und fügt außerdem hinzu, was am allerwenigsten gefehlt hat: Kitsch. Ohne darum gebeten zu haben, wird der Zuschauer in die Rolle des Zeugen einer Liebesgeschichte zwischen Tim Roth und Alexandra Maria Lara genötigt – und das, meine Damen und Herren, ist alles andere als ein romantisches Vergnügen. Im Gegenteil: Es hat eine ausgesprochen antiklimaktische Wirkung, wenn die hübsche Alexandra Maria Lara in einen „para-medialen Zustand“ verfällt und plötzlich auf Babylonisch daherzuschwadronieren beginnt (warum eigentlich mit deutschem Akzent?). Bei auffällig vielen Regisseuren mit katholischem Hintergrund spürt man im Alter einen abtrünnigen Drang zum Exotisch-Esoterischen: Jean Renoir und „The River“, Bernardo Bertolucci mit „Little Buddha“, Martin Scorsese und „Kundun“… Weil Coppola noch nie ein Mann des Mittelmaßes war, treibt „Jugend ohne Jugend“ diese Tendenz auf die Spitze.
Elf Jahre sind vergangen, seit er mit der Grisham-Adaption „The Rainmaker“ seinen letzten Film gedreht hat. In der Zwischenzeit hatte der exzessive Kraftkerl, der immer schon das Gegenteil eines heiteren Luftikus war, einige frustrierende Begegnungen mit dem inneren Schweinehund. In Interviews berichtete der Regisseur offen von seinen Ängsten als Künstler, auch weil sein Langzeitprojekt „Megalopolis“ nicht vorankam. Die autobiographischen Zusammenhänge liegen daher auf der Hand: „Jugend ohne Jugend“ ist Coppolas Versuch, wie sein Protagonist in den Jungbrunnen zu hüpfen und – wie von Blitz und Donner gerührt – quietschfidel wieder heraus zu steigen. Einen Film „in jugendlicher Guerillamanier“ habe er drehen wollen, schreibt er im Nachwort zum Eliade-Roman. Doch mit revolutionärer Leichtigkeit haben seine funkelnden, gelegentlich in Baselitz-Manier auf den Kopf gestellten Cinemascope-Bilder soviel zu tun wie „Herr der Ringe“ mit cinema verité. Bereits die Titelsequenz ist eine Hommage an das klassische Hollywoodkino. Und auch die vielen Schattenspiele, schrägen Kamerawinkel und Spiegelszenen weisen eher in die Vergangenheit des Expressionismus und des Film Noir als in die Zukunft des Kinos. Aber ein fliegengewichtiges Pastiche wäre dem Schwergewicht Coppola bei seinem Comebackkampf vermutlich zu wenig gewesen.
Deshalb riskiert er alles – und verliert.
Wenn Tim Roths Figur in eine multiple Persönlichkeit zerfällt und sich daraufhin in Diskussionen mit sich selbst verwickelt; wenn Alexandra Maria Lara in einer indischen Höhle „Om Shanti“ summt; wenn sich Coppola bei den Szenen in Malta einen Kalauer über den „Malteser Falken“ nicht verkneifen kann – dann möchte man dabei vor Fremdscham am liebsten im Kinoboden versinken. Aber man sollte sich bei diesem Regisseur nicht täuschen lassen. Der 69-Jährige hat in seiner Karriere – zwischen „Der Pate“ und „Tucker“, zwischen „Apocalypse Now“ und „One From the Heart“ – unzählige Extremsituationen erlebt. Mag sein, dass ihn dieses Mal ein falscher Geistesblitz geblendet und versengt hat. Aber wer würde sich wundern, wenn er beim nächsten Film wie Phönix aus der eigenen Asche steigt?