Death Proof (Quentin Tarantino, 2007)

„Death Proof“ (2007) von Quentin Tarantino

Die einzige Enttäuschung dieses grandiosen Vergnügens wird weitgehend unbemerkt bleiben. Als Quentin Tarantinos neuer Film im April in die amerikanischen Kinos kam, hatte er filmische Begleitung im Arm: „Death Proof“ war der zweite Teil des Double Features „Grindhouse“, eine Hommage an die alten B-Movie-Kinos mit ihren Nonstop-Schundprogrammen. Der erste Teil, die wüste Zombie-Splatter-Schlacht „Planet Terror“, stammte von Robert Rodriguez. Eli Roth, Edgar Wright und Rob Zombie hatten irrwitzig Trailer für Trash-Filme beigesteuert, die es gar nicht gibt („Werewolf Women of the SS“). Die Tonspur knisterte. Kratzer durchzogen das Bild. Manchmal sprangen die Szenenanschlüsse. Es war der Versuch der radikalen Anverwandlung einer untergegangenen Kinoform. Doch in den USA war die Resonanz eher mau. Der Kinonostalgiker Tarantino musste einsehen: Die alten Zeiten kommen nicht wieder. „Death Proof“ wurde umgeschnitten. Jetzt tourt er alleine durch die deutschen Kinos. Schade einerseits.

Andererseits ist die neue Fassung 19 Minuten länger – und um den Ballast des durchhängenden Rodriguez-Spektakels leichter. Dabei sticht heraus, was im Bombast des Gesamtprojektes beinahe unterging: Tarantinos Kollegen trieben die selbstverleugnende Imitation des alten Stils viel weiter. Tarantino bedient sich zwar eines Schund-Genres, aber letztlich zieht er doch sein eigenes Ding durch. Auch wenn er die Heiße-Frauen-am-Steuer-Filme der siebziger Jahre gewaltig auffrisiert, lädt er uns wieder einmal ein in seine bewährte Welt der Musiksamplings, des Fußfetischismus, der ästhetisierten Gewalt, der afroamerikanischen „Nigga-this-Nigga-that“-Coolness, der Filmzitate und der geschliffenen Dialoge voller Popkulturverweise. Anders als bei seinem enttäuschenden – weil überambitionierten, überbordenden, überpolierten – Zitatenkästchen „Kill Bill“ bleibt er mit seinem postmodernen Oberflächenkino dieses Mal auf dem Boden: angemessenen klein und schmutzig feiert Tarantino nichts weiter als das Virtuosität des Tarantino-Kinos.

Die Handlung? Der PS-vernarrte Stuntman Mike (Kurt Russell), ein dunkler Autonomer der Straße, schleicht sich wie eine Klapperschlange an Gruppen weiblicher Opfer heran. In Bars umkreist er langbeinige Chicas und Babes, becirct sie mit seiner Raspelstimme und beißt dann zu. Wenn sie mit ihren Autos auf die Landstraße einbiegen, bringt er seinen schwarzen Dodge auf Hochtouren. Dann ist auf dem Highway die Hölle los. In einem perversen Akt der Auto-Erotik werden die Frauen von seinem stahlhartem Geschoss mit einem Stoß zur Strecke gebracht: live fast and die hard. Den ersten orgiastischen Zusammenprall hält Tarantino mit mehreren Kameras fest und spult sie dann so genüsslich ab wie einst Antonioni die Explosion am Ende von „Zabriskie Point“. Im Englischen bezeichnet der Ausdruck „hot rod“ ja nicht nur eine hochgetunte Karosse sondern auch einen erigierten Schwanz. Diese sexuelle Doppeldeutigkeit lässt sich der Exploitation-Filmer Tarantino nicht entgehen. Wenn Mikes Auto das weibliche Gefährt penetriert, ist das eine symbolische Vergewaltigungsszene von markerschütternder Wucht. Doch wer „Kill Bill“ kennt, weiß, dass Tarantino die frisch geweckte Lust auf weibliche Rache irgendwann befriedigt: Im Kern ist auch „Death Proof“ eine Rape-Revenge-Geschichte: Girls just wanna have fun!

Die Actionmomente in „Death Proof“ gehören zum Besten, was man in dieser Hinsicht seit langem im Kino gesehen hat. Wer diese race-and-chase-Szenen als billige Jahrmarktsattraktionen abtut, hat nicht verstanden, dass gerade hier das Kino ganz bei sich selbst ist. Schon Pioniere des frühen Kinos wie Edwin S. Porter und James Williamson hatten die Rauschwirkung filmischer Geschwindigkeitsmomente ausgekostet. Und der große Filmtheoretiker Béla Balász entwickelte daraus gar Gedanken zur Philosophie der Zeit: „In den Szenen der Verfolgung kann der Film die Minuten der Angst und der Hoffnung durch das ‚bald, bald!’ und ‚noch immer nicht’ in sichtbare dramatische Sekunden teilen, ausdehnen, und so das Schicksal nicht nur in seiner Wirkung zeigen, sondern es selbst in seinem lautlosen Fluge durch die Zeit.“

Wenn es um diese Actionmomente geht, kennt der Erzironiker Quentin Tarantino keinen Spaß. Mit grimmigem Ernst zelebriert er ein furioses Virtuosentum, das voller Verachtung auf die verzärtelte Lehnstuhl-Action der Computer-Animateure und Pixel-Illusionisten herabschaut. Sein Retro-Kino will zurück zum Wahren und Echten der alten Stuntman-Schule. Zu Filmen wie „Vanishing Point“ (1971), „Dirty Mary Crazy Larry“ (1974) oder „Gone in 60 Seconds“(1974) – dem Original und nicht diesem „Angelina-Jolie-Bullshit“, wie es an einer Stelle heißt. Schaut her, ruft uns Tarantino zu, hier zerreißt es richtiges Metall, hier bersten echte Windschutzscheiben, hier riskieren lebendige Menschen Kopf und Kragen – allen voran die sich selbst spielende Stuntfrau Zoë Bell. Die Rechnung geht auf: Tarantinos analoges Kino packt und schüttelt den Zuschauer in einem Maß, wie es die digitalen Binärcodes der CGI-Filme nie und nimmer schaffen. Wenn Tarantinos Stuntfrauen das Gaspedal durchdrücken, schaltet der Zuschauer auf Neuronendauerfeuer und pumpt Adrenalinfontänen, weil er sieht: Da geht alles mit rechten Dingen zu, da wird nichts mit schlechten Tricks kaschiert. Seit „Speed“ gab es keinen Film mehr, in dem Tempo und Beschleunigung so leibhaftig spürbar waren. Am Ende hat man den Eindruck, als waberte der Geruch von Benzin, Asphalt und geschmortem Gummi durch den Saal. Und der Schweiß des ausgepumpten Publikums.

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