Sommer ’04 (Stefan Krohmer, 2006)

„Sommer ’04“ (2006) von Stefan Krohmer

Ein paar Sommertage an der Ostsee: Miriam (Martina Gedeck) und ihr Lebensgefährte André (Peter Davor) verbringen die Schulferien mit ihrem 15-jährigen Sohn Nils (Lucas Kotaranin) und dessen frühreifer Freundin Livia (Svea Lohde) auf ihrem idyllischen Grundstück mit Reetdachhaus. Als der gut aussehende Amerikaner Bill (Robert Seeliger) auftaucht und scheinbar eine Affäre mit der minderjährigen Livia beginnt, schreitet Miriam verantwortungsvoll dazwischen. Dabei schlägt ihre Entrüstung schnell in Begehren um: Miriam beginnt selbst ein Verhältnis mit Bill. Doch als kostete es Miriam nicht genug Mühe, den Schein vor ihrer Familie zu wahren, zeigt Bill weiter Interesse an Livia. Bis es auf dem Meer zu einem verhängnisvollen Unfall kommt.

Rafft man den Plot im Fernsehzeitungsstil zusammen – „Sommer ’04“ hätte mindestens das Zeug zur SAT 1-Vorabendserie. Wenn nicht weniger. Doch mit einer Inhaltsangabe kommt man bei diesem Film nicht weit. Was erzählt wird, ist kunstvoll ins Gewebe seiner Form geflochten. Daran sieht man: Soap Opera und Kitsch sind keine Frage des Inhaltes – sie sind eine Frage des Stils. Umgekehrt gilt, wer seinen Stil konsequent von allem Seifenoperhaftem befreit, kann ein cinephiles Kinopublikum auch mit Kolportage um den Finger wickeln. Pedro Almodóvar beweist das mit einem Augenzwinkern immer wieder aufs Neue. Und auch der Regisseur Stefan Krohmer („Sie haben Knut“, „Familienkreise“) und sein Dauer-Drehbuchautor Daniel Nocke entwickeln unter dieser Vorgabe ein emotionales Drama von hohen Graden.

Oberstes Stilprinzip dabei: das Wegsehen. „Sommer ’04“ ist ein Film der Lücken. Durch abrupte Szenenwechsel und Auslassungen enthält Krohmer vor, was sonst im Mittelpunkt der Soap Opera steht: der Blick auf das Voyeuristische, Skandalöse, Sensationelle. Diese Strategie hat einen doppelten ästhetischen Reiz. Zum einen dehnt Krohmer das Spannungsmoment, weil er die Antwort verzögert auf die Frage: Was ist passiert? Indem er das Geschehene später beiläufig verbal nachreicht, kitzelt er zum anderen die Imaginationskraft des Zuschauers, der sich ausmalt: Wie ist es passiert? Selbst die spektakulären Plotwendungen werden nicht wie Schaufensterware ausgelegt, sondern beinahe verstohlen unter dem Ladentisch hindurch geschoben. Der fatale Segelunfall am Ende beispielsweise wirkt, als sei er mit einem verhaltenen Xylophon unterlegt und nicht wie gewöhnlich von Tamtam, Pauken und Trompeten.

Doch dieses Understatement bedeutet nicht, dass „Sommer ’04“ ein anämischer Film wäre. Im Gegenteil. Wer die schweißbenetzten Körper, die langen Frauenbeine, die gebräunten Männerbrüste sieht, weiß warum. Nur werden Erotik und Emotionen nicht schokoglasurartig aufgetragen, sondern fein gestäubt wie Puderzucker. Der Film lebt von einer latenten Spannung, resultierend aus höchst fragilen Figurenbeziehungen: Wie beim Mobile über der Kinderwiege braucht es nur einen kleinen Stups – und schon gerät das gesamte Gleichgewicht des Gefühlsgefüges in Bewegung. Dass dies wunderbar funktioniert, liegt nicht zuletzt an Martina Gedeck. Mit ihrer Vorliebe für Frauenrollen, die hinter einer robusten erotischen Fassade ein brüchiges Selbstwertgefühl erkennen lassen, erinnert sie zusehends an Aktricen wie Fanny Ardant oder Charlotte Rampling. Man denke an ihre Rollen in Oskar Roehlers „Elementarteilchen“ oder Dominik Grafs „Deine besten Jahre“. Auch ihre Miriam hat beim Flirt mit Bill den flackernden Blick der selbstsicheren Femme Fatale. Doch wenn sie sich in psychologische Eifersuchtsspielereien mit der 12-jährigen Livia verwickeln lässt, deren Alter und Name nicht ohne Grund an Lolita erinnern, legt sie ihr verwundetes Inneres blank.

Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund der verführerisch schönen Landschaft Schleswig-Holsteins, die in Gartenpicknicks und Segeltörns mal harmonisch, mal dynamisch in Szene gesetzt ist. Das Ergebnis ist eine Verbindung aus Sinnlichkeit und Natur, bei der sich manchmal der Eindruck aufdrängt: Hier muss es sich um einen Film aus Frankreich handeln. Und das ist ausschließlich als Kompliment gemeint.

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