Green Zone (Paul Greengrass, 2010)

Im Wüstensturm
„Green Zone“ von Paul Greengrass (2010)

Wer sich zu diesem Zeitpunkt bereits Richtung Kinoausgang orientiert hat, sollte nochmal innehalten. Es ist die letzte Einstellung dieses 115 Minuten langen Films. Ein Spezialkommando der US-Armee, im März 2003 zur Suche nach den berüchtigten Massenvernichtungswaffen in den Irak abkommandiert, rollt im Fahrzeugkonvoi davon. Der Aufenthalt im Mittleren Osten war frustrierend ergebnislos verlaufen. Außer einer alten Toilettenfabrik und anderem unexplosivem Ramsch hatte der Spürtrupp von Officer Roy Miller (Matt Damon) nicht viel gefunden. Und die immer wieder gestellte Frage „Warum sind wir dann, verdammt noch mal, überhaupt in diesem Land?“ war stets unbeantwortet geblieben. In diesem Moment fährt die Kamera nach oben und zeigt uns – eine Ölraffinerie. Im Film war von Öl als Kriegsgrund nie die Rede. Doch Regisseur Paul Greengrass („Das Bourne Ultimatum“) schiebt dieses kurze Ausrufezeichen wortlos hinterher. Manchmal sagt ein Schlussbild mehr als tausend Worte.

 Diesem überraschend lakonischen Ende geht ein rasender Actionthriller voraus, wie ihn außer Paul Greengrass momentan nur wenige zu inszenieren vermögen. Sein Film „Green Zone“ – in Marokko, Spanien und England gedreht – versetzt das Publikum zurück in die ersten Wochen des Irak-Krieges und der Besatzungszeit. Zwar haben sich Greengrass und sein Drehbuchautor Brian Helgeland Inspiration beim preisgekrönten Sachbuch „Imperial Life in the Emerald City: Inside Iraq’s Green Zone“ von Rajiv Chandrasekaran geholt, dem ehemaligen Irak-Korrespondenten der Washington Post. Doch das Hauptgewicht liegt nicht auf einer faktischen Nacherzählung. Die verheerende Inkompetenz der Besatzer, die Ignoranz gegenüber den einheimischen Sitten und die Arroganz des Auftretens in der Green Zone – sie interessieren Greengrass eher am Rande. Auch die brutalen Verhörmethoden, die Indienstnahme der Medien und die Kompetenzgefechte zwischen CIA und Pentagon-Leuten werden vorwiegend en passant erzählt. Greengrass geht es primär um die Konstruktion einer spannenden Geschichte. Und dieses „große Adrenalin-Ding“, wie er es selbst bezeichnet, fegt tatsächlich in den besten Momenten über das Publikum hinweg wie ein Wüstensturm.

Schon die ersten Sekunden schleudern den Zuschauer hinein ins Geschehen. Nervöse Handkamera, unruhige Zooms und irritierende Achsensprünge signalisieren: Vorsicht, Sie betreten gerade die Greengrass-Zone. Die Spezialeinheit um Roy Miller geht einem Hinweis nach. In einer Halle könnten Massenvernichtungswaffen zu finden sein. Doch im Gebäude ist ein Heckenschütze versteckt. Die Folge: Hektik, Verwirrung, Anspannung. Spielend beherrscht Greengrass die Balance von temporeichen Momenten der Beschleunigung und entschleunigten Verzögerungsmomenten, von frenetischen Flucht- und stillen Heranpirschszenen.  Das ist perfekt zu beobachten am Höhepunkt des Films. Die Sequenz mündet in einer Verfolgungsjagd durch die Gassen von Bagdad: drei Männer, drei Ziele, drei Mal Hochgeschwindigkeit. Greengrass’ Kameramänner müssen exzellente Sprinter sein.

Die Karriere des 54-jährigen Engländers weist einige ungewöhnliche Wendungen auf. Greengrass berichtete zunächst als Fernsehreporter aus Konfliktregionen, drehte später engagierte TV-Filme, wandelte sich zum politischen Autorenfilmer und Gewinner des Goldenen Bären (2002 für „Bloody Sunday“), um schließlich zu einem der bemerkenswertesten Action-Handwerker unserer Zeit zu werden. Wie effektiv ein Regisseur inszeniert, merkt man ja meist besonders deutlich, wenn sich weniger agile Kollegen als Epigonen aufspielen. Marc Forster hat im letzten James-Bond-Film „Ein Quantum Trost“ gelegentlich den hyperkinetischen Stil von Paul Greengrass zu imitieren versucht. Das Ergebnis war trostlos.

Zugegeben, manchmal macht „Green Zone“ ein bisschen viel Brimborium um das abgekartete Spiel mit den angeblichen Massenvernichtungswaffen. Dabei dürfte gerade dieses Täuschungsmanöver nur noch wenige Leute überraschen. Selbst der damalige US-Außenminister Colin Powell, Anfang 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat noch voll der Überzeugung, hat ja später eingeräumt: Die Informationen der Nachrichtendienste waren „bewusst irreführend“. Doch der Film hat andererseits keine Scheu, neben dem lakonischen Schlusskommentar zur Kriegsursache auch eine klare Haltung zur amerikanischen Besatzungspolitik einzunehmen. Die Amerikaner hätten das irakische Militär und die Bath-Partei keineswegs sofort auflösen dürfen. Und von Anfang an hätte viel mehr mit den Irakern kooperiert werden müssen.

Diesen Standpunkt vertritt im Film der zerknautschte CIA-Veteran Martin Brown (Brendan Gleeson), der deswegen mit Clark Poundstone (Greg Kinnear) aneinandergerät, einem Bückling aus dem Pentagon. Dass Brown das Sprachrohr seines Regisseurs ist, wird deutlich wenn Greengrass im Interview erklärt: „Das Problem ist, dass die Amerikaner Deutschland und Japan im Jahr 1945 als Modell nahmen.“ Wie die Gegner des Zweiten Weltkriegs sollte auch der Irak buchstäblich auseinander genommen und wieder aufgebaut werden. Ein verhängnisvoller Fehler. Denn: „Die Armee war der einzige Teil, der die heruntergekommene Struktur zusammenhalten hatte. Saddam Hussein betrachtete sie die gesamte Zeit seiner Diktatur über als seine Hauptbedrohung, denn die Armee war sehr nationalistisch.“ Diese Position beansprucht Greengrass keineswegs für sich allein. Im Gegenteil: „Sie werden keine einzige Person finden, die sich mit dem Thema auskennt und die nicht sagen würde: Die Armee auseinanderzunehmen war die katastrophalste aller Entscheidungen.“ Nun gut, ein paar Leute würden einem doch einfallen. Sie tragen so illustre Namen wie Bush, Rumsfeld oder Wolfowitz. Im Film nicht beim Namen genannt, sind sie die eigentlichen Schurken.

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