The Sum of All Fears (Phil Alden Robinson, 2002)

„The Sum of All Fears“ von Phil Alden Robinson (2002)

Die Konspiration greift mit kalter Hand über den Globus. Eine Weltintrige wird gesponnen, deren Fäden dank weltweiter Vernetzung bis in die letzten Ecken reichen: von Washington und Moskau über Wien, Damaskus und Haifa bis hinein in die glühende syrische Wüste und die klirrende Kälte des russischen Flachlandes. Immer wieder werden Bilder aus der Satellitenperspektive gezeigt: als hätte ein allmächtiges Auge immer alles im Blick. Wer steckt dahinter? Islamische Fundamentalisten? Das globale Kapital? Die Freimaurer? Nein, es sind, wer hätte das gedacht, Neonazis, Pseudo-Arier und Faschisten, die sich weltweit verschworen haben. „Die Anhänger von Hitler wachsen, blühen und gedeihen“, raunt der Obernazi. Auf Gedeih und Verderb, wie man sich denken kann. Eine Atombombe vom Schwarzmarkt soll auf amerikanischem Boden hochgehen und Amerikaner und Russen zum Nuklearkrieg aufeinander hetzen. Danach wird die Welt ganz zackig am Übermenschenwesen genesen. Völker, hört die Signale: Hier kommt die Nazi-Internationale!

Gut, dass es einen wie Jack Ryan gibt. Seit den Tagen, als er von Alec Baldwin (in „Jagd auf Roter Oktober“) und Harrison Ford (in „Die Stunde der Patrioten“ und „Das Kartell“) verkörpert wurde, muss sich der Dauerheld des Thrillerautors Tom Clancy tief in den Jungbrunnen gestürzt haben. Denn diesmal spielt ihn der juvenile Ben Affleck. Aufgrund dieser Verjüngung muss sich Jack Ryan aber in der Geheimdienst-Hierarchie wieder ganz nach unten begeben. Gemeinsam mit Morgan Freemans altersweisem CIA-Chef bildet er das beliebte schwarz-weiße Senior-Junior-Paar. Und gemeinsam mit ihm macht er sich auf zur Rettung der Welt. So weit, so lächerlich.

Doch obwohl der Film voller haarsträubender Unwahrscheinlichkeiten steckt; obwohl auch noch eine Lovestory wie ein widerspenstiger Köter mitgezerrt wird; obwohl Ben Affleck hölzern wie eine Schnitzfigur agiert; und obwohl der Film zum Teil völlig over the top ist mit Neonazis als Ästheten, die in Prachtsälen dinieren und zu Operntakten ihre Hände wie Schmetterlingsflügel durch die Luft schweben lassen ─ trotz allem hat der Film bisweilen eine primitive Wucht, die einen in den Kinosessel presst. (Vor allem im Moment, als die Atombombe detoniert und die Leinwand zu zerreißen scheint.) Und ähnlich wie zuletzt „Thirteen Days“ zieht der Film seine Faszination daraus, dass er für zwei Stunden den Vorhang beiseite schiebt, hinter dem die große Oper der Weltpolitik gespielt wird. Der Film führt den Zuschauer dahin, wo es sonst besonders geheim ist: in die Kommandozentrale von Air Force One, hinter die Milchglasscheiben der obersten Geheimdienstmeetings und sogar ins Schlafzimmer des russischen Präsidenten. Hollywood spielt BILD-Zeitung: Es bedient gekonnt die Neugier des kleinen Mannes. Jetzt sind wir auch mal dabeigewesen!

Das Kino ist nicht nur eine Wunscherfüllungsmaschine. Es verpackt auch kollektive Ängste in Geschichten. Der Originaltitel „The Sum of All Fears“ spricht diese Ängste offen an: die Furcht vor der Verwundung des amerikanischen Siegfriedkörpers; der Speerwurf in die Lindenblattstelle eines nationalen Symbols; die Attacke von hinten durch einen unbekannten Feind. Die amerikanischen Kritiker haben deshalb darauf hingewiesen, wie aktuell das Szenario nach dem 11. September doch sei. Und natürlich sind diese Parallelen unverkennbar. Mit dem Super Bowl wird ein nationales Symbol attackiert, dessen Sportart das Adjektiv „amerikanisch“ schon im Namen trägt. Und auch dieser Anschlag fordert ungezählte unschuldige Opfer ─ was Regisseur Phil Alden Robinson verdeutlicht, in dem (wie Scorsese in „Zeit der Unschuld“) mit einer Art Hochgeschwindigkeitsschnitt die Gesichter der Masse aneinander montiert.

Was viele amerikanische Rezensenten übersehen haben, sind die Unterschiede in den Quellen der Angst. Der Film steckt gedanklich viel zu stark im Antagonismus des Kalten Krieges. Noch immer spukt das Gespenst des Dritten Weltkriegs herum. Tom Clancys Romanvorlage stammt von 1991, als die Sowjetunion gerade zu Bruch ging. Darüber hinaus bekommt die unbekannte Gefahr zwar mit den Fratzen der Neonazis ein Gesicht. Das Phantombild trägt aber die falschen Züge. Denn die Stoßrichtung der Neonazis zielt vorwärts in eine ideologische Richtung. Die anti-westliche Verachtung der Al-Qaida funktioniert hingegen nur nach hinten über negative Zerstörung. Ein dritter Unterschied besteht darin, dass der Film den Anschlag in der Logik der Massenvernichtungswaffen denkt. Das Perfide des 11. Septembers war aber gerade die Absenz aller Waffen. Statt dessen wurde der Massenmord durch Flugzeuge vollstreckt, die Selbstmörder mit einfachen Messern entführt hatten. Eine Bombe ist eine Waffe ─ ein Flugzeug ist ein Verkehrsmittel des Alltags. Das eine kann gesucht und gefunden werden. Das andere umgibt uns quasi ständig und überall. Auf diese Weise schraubt sich die terroristische Bedrohung viel unheimlicher in die Psyche hinein.

Der Film, der in den USA mit einem Einspielergebnis von über 110 Millionen Dollar ein großer Erfolg war, ist lange vor dem 11. September ausgedacht und gedreht gewesen. Insofern zeugt „Der Anschlag“ als Ausdruck von Kollektivängsten auch davon, wie buchstäblich unvorstellbar der 11. September war. Seitdem sind neue Ursachen des Schreckens dazugekommen. Die Summe aller Ängste wird von nun an durch andere Summanden addiert.

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