Burrowing/Man tänker sitt (Fredrik Wenzel/Henrik Hellström, 2009)

„Burrowing/Man tänker sitt“ von Fredrik Wenzel und Henrik Hellström (2009)

Eine Vorstadtidylle, die einer beengenden Vorhölle gleicht: Ein spindeldürrer Knabe namens Sebastian (Sebastian Eklund), rotblond und sommersprossig, streift gelangweilt durch die blitzsauberen Straßen einer Suburbia-Siedlung, im harmlosen Westen Schwedens. In den geordneten Gärten und beim Versteckspiel auf dem Spielplatz sucht er nach dem Kick, dem Abenteuer, dem Angriff der Gegenwart auf die unvergnügliche Zeit. Vergeblich. Gelegentlich entlädt sich sein Überdruck daher in sadistischen Streichen. Oder er flüchtet hinaus in den Wildwuchs der Natur.

Dazwischen geschoben: fragmentarische Szenen, in denen Männer aus Sebastians Nachbarschaft gleichfalls der bestehenden Ordnung trotzen. Jimmy, der sein Kind auf dem Asphalt eines Supermarkt-Parkplatzes wickelt und damit eine Passantin verstört; Anders, der im Garten mit seinem mild-tyrannischen Rentnervater kämpft; Mischa, der die Fische im Bach der Siedlung mit einem Speer zu töten versucht. Immer wieder klettern sie über Zäune und überspringen die perfekt gepflegten Hecken. Und gelegentlich bricht auch mal unvermittelt Gewalt aus ihnen heraus. Bilder sind das für die Revolte gegen die nachbarschaftliche Beklemmung, für den Widerstand gegen die bemutternde Obhut der Anwohner, für den Entzug vor den observierenden Blicken der Gemeinschaft.

Auch wenn man dieser Mittelschichtskritik wohlwollend zustimmt – thematisch neu ist sie nicht. Doch die jungen schwedischen Regisseure Fredrik Wenzel und Henrik Hellström (Jahrgang 1978 und 1974) haben in ihrem 76-minütigen Debütfilm „Burrowing“ eine Pointe eingebaut, die dann doch überrascht: Sie tragen ihre Kritik ausgerechnet mit den ästhetischen Mitteln Terrence Malicks vor. Dass diesem enigmatischen Meisterregisseur von der ersten Minute an unverhohlen gehuldigt wird, ist bei den handelsüblichen Hitchcock-, Lynch- oder Tarantino-Epigonen des Regienachwuchses eine wohltuende Abwechslung.

Und so raunt uns Sebastians raue Kinderstimme im Voice-Over Reflexionen über das Leben zu, ganz wie die junge Linda aus „Days of Heaven“. Ähnlich wie in „The New World“ oder „The Thin Red Line“ streifen Handkamera und Steadycam fasziniert durch wogendes Getreide oder sattgrün-archaische Wälder. Mit wunderschönen Aufnahmen zelebrieren sie die Natur als Ausweg aus dem Angepasstheitsterror – und sei es als Grab für die Ewigkeit. Und auch Malicks Vorliebe für die amerikanische Romantik findet ihren Widerhall. Sebastian gibt lange Passagen aus den Hauptwerken des Transzendentalisten Henry David Thoreau wieder – was natürlich sehr passend ist:  Waren nicht auch „Walden“ und „Civil Disobedience“ Texte, die sich auflehnten gegen die bestehende Ordnung der Zeit? „If a plant cannot live according to its nature, it dies; and so a man“, zitiert der Film aus dem Buch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“.

Klar: Der Film begibt sich damit nah an die Grenze zum Prätentiösen, vielleicht auch Naiven. Vor allem wenn zum soundsovielten Male ein lateinischer Choral anhebt, ist man zum Abwinken geneigt. Aber was soll’s, hier haben zwei Regisseure etwas gewagt. Und eines haben sie zumindest gewonnen: Sie gelten ab jetzt als Versprechen.

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