„Tillsammans/Zusammen“ (2000) von Lukas Moodysson
Was, wenn die Gesellschaft ein Haferbrei wäre? Wenn wir nicht alle einsame, trockene Haferflocken wären, sondern ein warmer, weicher Brei? Was, wenn das Leben sich nicht in Single-Wohnungen oder Kleinfamilien abspielen würde, sondern, sagen wir, in einer großen Kommune? Es gab mal eine Zeit, da wurden solche Fragen gestellt. Scheint lange her zu sein.
Am Anfang steht eine Radionachricht: Franco ist tot. Der Faschismus ist am Ende in Europa, aber die linken Utopien blühen noch, mehr oder weniger. Es ist November in Stockholm, 1975. Rolf verprügelt seine Frau Elisabeth, sie flieht mit den Kindern Eva und Stefan aus der Mietwohnung. Die drei kommen in der Wohngemeinschaft von Göran unter, dem Erfinder der Haferbrei-Metapher. Dort, in der Kommune „Zusammen“ von Lena, Erik, Anna, Lasse, Klas, Signe, Sigvard und Tet, herrschen milder Kommunismus und freie Liebe; es gelten die Gleichberechtigung der Frau und der Vegetarismus. Kinder dürfen kein Kriegsspielzeug besitzen, und Fernseher sind tabu. Doch mit Solidarität und Offenheit ist es so weit auch wieder nicht her. Und das Eindringen der Familie wird die instabile Harmonie noch weiter ins Wanken bringen.
Was folgt, ist vorwiegend aus der Sicht von Kindern erzählt. Von Stefan, dem in der Kommune der Vater fehlt. Von Tet, der nach der berühmten Vietnam-Offensive benannt ist. Vom pummeligen Nachbarssohn Fredrik und der hübschen Eva, die von einem Pubertätskokon umsponnen sind und sich gerade heraus zu winden versuchen. Der alte Trick der distanzierten Erzählperspektive funktioniert wieder einmal, weil er die Ironie so leichtfüßig macht. Eva und Fredrik haben die gleichen, hässlichen Kassenbrillen mit der gleichen, hohen Dioptrienzahl und damit die gleiche, eindeutige Sicht auf die Welt: Die Erwachsenen sind scheiße! Hässliche Kleider, schlechte Musik, keine Weihnachtsgeschenke ─ warum müssen die Erwachsenen bloß alle Werte verdrehen? Irgendwann rebellieren die Kinder gegen die Rebellen-Eltern. Sie wollen Hotdogs, TV und Spielzeugpistolen. Aber eines wollen sie ganz und gar nicht: allein sein beim größer werden. Die traurigen Blicke der vernachlässigten Kinder kehren immer wieder in diesem Film. „Where are those happy days, they seem so hard to find…“, singen ABBA, und Eva hört einsam zu.
Die Elterngeneration ist beschäftigt ─ beschäftigt, die Welt zu verändern oder zumindest sich selbst. Anna rasiert sich die Achselhaare nicht mehr, weil sie Schönheitsideale als patriarchalisch verdammt. An der Wand hängt ein Plakat, das die USA als Mörder brandmarkt. Gleichzeitig wird amerikanische Black Music aufgelegt. Die Erwachsenen wagen sich an die Geschlechtergrenzen und schauen welches Neuland dahinter liegt. Anna, gerade geschieden, flirtet mit Elisabeth. Klas verführt Annas Ex-Mann Lasse. „Es macht keinen Unterschied: Wir sind alle Menschen“, sagt Klas. Sexualität ist doch nur ein soziale Konstruktion, die man problemlos umkonstruieren kann. Oder? Anna ist auffällig schockiert, als sie Lasse mit Klas im Bett findet. Es sind diese kleinen Brüche und Widersprüche, die der Film mit sympathischer Offenheit bloßstellt. Am Ende steht als Ideal wohl doch die heterosexuelle Monogamie. Das ist vielleicht nicht besonders originell, entspricht aber vermutlich der Gefühlslage unserer Zeit. Die sexuell Zufriedensten heutzutage, schreibt Mariam Lau in ihrem Buch über „Die neuen Sexfronten“, sind „einmal mehr die, die verheiratet sind oder mit einem festen Partner zusammenleben“.
Ohne Zorn richtet Regisseur Lukas Moodysson seinen Blick zurück. Er deutet an, wo sich die einstigen Ideale durchsetzten und wo die Regelgebäude des Establishments dem Ansturm standhielten. Die Kommune ist ein Mikrokosmos, der stellvertretend steht für die Versuchsanordnungen der 60er und 70er Jahre. Seit Ang Lees „Der Eissturm“ hat kein Film die Atmosphäre der Zeit detailgetreuer beschworen: die Strickpullis, die bemalten VW-Busse, die Meditationssitzungen, die bunten Zimmerwände, die Rosa-Luxemburg- und Che-Guevara-Poster und die Musik von ABBA bis Nazareth. Ein grandioses period piece. Doch der Mann, der da zurück schaut, war in den 70er Jahren noch ein Kind. Trotzdem, oder gerade weil, er erst 31 Jahre alt ist, hat der Schwede Lukas Moodysson den bisher überzeugendsten Film zur 68er-Debatte gedreht. Ein Pflichtfilm für alle, die nicht dabei waren. Und für die Altrevolutionäre erst recht. Moodysson hat schon vor zwei Jahren mit seinem Debütfilm „Raus aus Amal“ überrascht, einer feinfühligen Studie über zwei lesbische Teenager. Und wieder hat er einen Film gedreht, der in seiner Genauigkeit der Familienbeobachtung an den großen Schweden Ingmar Bergman erinnert. Doch Moodyssons Filme sind weniger protestantisch und streng. Sie sind geprägt von einer beschwingten Melancholie, von trauriger Fröhlichkeit. Als Vorbilder nennt er Mike Leigh, Ken Loach und John Cassavetes. „Als ich das erste Mal daran dachte, Filmemacher zu werden, war das nicht aus Leidenschaft für Filme, sondern aus Langeweile. Ich wollte einfach mein Leben verändern“, sagt er.
Sein Film sehnt sich leise nach der Geborgenheit der Kernfamilie, diesem scheinbar überkommenen Gebilde, das die sexuellen Revoluzzer so laut attackierten. Nur ganz verhalten ist diese Sehnsucht formuliert, denn auch die brüchige Nachbarfamilie ist kein Gegenentwurf. Es sind sexuell frustrierte Spießbürger, die mit Fernglas bei der Kommune spannen. Der Vater masturbiert im Hobby-Keller, die Mutter häkelt allein auf der Couch. Doch der Film hält sich mit Rechthabereien zurück. Moodysson weiß nur eines: Dass die Wege der großen Utopien in die falschen Richtungen liefen. Erik, der Kommunist, zieht aus, weil keiner an die Weltrevolution glaubt. Aber wer will sich schon dauernd sein marxistisch-leninistisches Geschwafel anhören? Er wird sich dem Terror der Baader-Meinhof-Gruppe anschließen ─ was in der entpolitisierten deutschen Synchronfassung leider verschwiegen wird. Mit Lena scheitert das Prinzip der freien Liebe. Hochkant fliegt sie aus der Kommune: nicht gesellschaftsfähig. Heulend kriecht sie bei Mami unter, zurück in den Schoß der Normalität. Und die regelgetreuen Utopisten Signe und Sigvard, die ihre vegetarischen, anti-materialistischen, pazifistischen Dogmen befolgt wissen wollen wie einen Säkularkatechismus, ziehen ebenfalls ab. „Ich lehne fundamentalistische Auslegungen von Idealen ab“, sagt Moodysson. „Es ist wichtig, dass man diese Ideale hat, aber manchmal muss man sie loslassen können. Ich sehe mich als Linken und stimme feministischen Vorstellungen zu. Andererseits finde ich, dass Britney Spears verdammt gut aussieht. Es ist wichtig, dass man so etwas sagen darf, ohne gleich als Verräter zu gelten. Außerdem bin ich Vegetarier, der es als amoralisch empfindet, Tiere zu essen. Aber ich würde niemals meinem fünfjährigen Sohn, der Fleisch liebt, zu dieser Haltung drängen.“
Die Verbliebenen spielen am Ende Fußball im Schnee. Männer und Frauen. Kinder und Erwachsene. Spießbürger und Hippies. Selbst der einsame Alte, der seine Wasserleitungen aufschraubt, um den Klempner wieder zum Besuch rufen zu dürfen, ist beim Kicken dabei. Ein schönes Ende. Vielleicht zu versöhnlich, vielleicht zu simpel. Doch Lukas Moodysson sagt, sein Ende sei eine Art Traum: „Der größte Fehler der Linken war, dass sie ihre Türen nicht den gewöhnlichen Leuten geöffnet haben. Die Durchschnittsbürger dachten doch, die Linken kreisen nur um sich selbst. Es wäre soviel besser für ihre Sache gewesen, hätten sie nicht so rigide gehandelt, sondern Fußball mit dem Klempner und dem Nachbarn gespielt. Das Ende des Films weist auf etwas hin, das nicht stattgefunden hat ─ was aber hätte passieren können.“ Es ist der Traum vom großen Zusammensein. Das Ideal von der Welt als Haferbrei.