„Casino Royale“ (2006) von Martin Campbell
Es ist dann doch ein kleiner Schock. Trotz der Warnungen durch die Multimillionen-Pfund-Vorabkampagne; trotz der Plakate und Trailer; trotz der wochen-, ja monatelangen Berichterstattung – als Daniel Craig das erste Mal auf der Leinwand erscheint, steht unerschütterlich fest: Bond ist blond. Mehr noch: Der neue 007-Darsteller verfügt weder über einen fein gewebten Brusthaarteppich noch über einen dunklen Jetset-Teint. Dafür hat er Augen, die so stechend blau sind, als wären sie von Yves Klein gemalt. Und in seinem Angesicht mischt sich ein Teil Steve McQueen mit einer Portion Boris Becker. Diese eher seltene Kombination hat in Agentenkreisen noch keiner hinbekommen – nicht der Schotte Sean Connery, nicht der Australier George Lazenby, nicht der Engländer Roger Moore, auch der Waliser Timothy Dalton nicht und der Ire Pierce Brosnan bekanntermaßen schon gleich gar nicht. Damit ist die wichtigste Frage eigentlich schon beantwortet: Daniel Craig, vor 38 Jahren im englischen Chester geboren, als Schauspieler bisher in Filmen wie „München“, „Layer Cake“ oder „The Mother“ positiv in Erscheinung getreten, ist als sechster Bond, James Bond anders, ganz anders. Und das ist nicht notwendigerweise schlecht.
Es gilt: alles auf Anfang. Nicht nur greift „Casino Royale“ auf jenen Roman zurück, mit dem der britische Schriftsteller Ian Fleming seinen Agenten vor 53 Jahren ins Leben rief. Der Film springt auch noch zurück hinter die anderen 20, 21 oder 22 Bond-Filme (je nach offizieller oder inoffizieller Zählweise). „Casino Royale“ ist Bond, das Prequel. Im Prolog wird geklärt wie 007 zu seiner Doppelnull kam, der Lizenz zum Töten. Im Laufe der Handlung, in der einem Terroristen-Finanzier namens Le Chiffre (Mads Mikkelsen) der Garaus gemacht werden soll, werden Andeutungen über seine Jugend gestreut: Waisenkind, ärmliche Herkunft, Oxford-Ausbildung. „Casino Royle“ ist darüber hinaus ein Bildungsroman im Actiondress. Das Unfehlbarkeitsdogma gilt noch nicht: Zum Bond, der alles weiß, der alles kann, der alles kriegt, muss er erst noch werden. Diese Suche nach Identität bedeutet auch: das Finden seines wahren Stils.
Das ist neu und unerhört. Geburt und Wiederbelebung sind deshalb heimliche Hauptthemen. Im symbolträchtigsten Moment des Films, in der dem Zuschauer der Atem stockt weil Bond das Herz stehen bleibt, wird er von den Halbtoten wiedererweckt – um anschließend stoisch an einem Kartenspiel teilzunehmen. So sehen wahre Player aus, die vielen Fortsetzungen entgegensehen. Damit nicht genug: In einer frühen Szene steigt Bond mit gleißendem, glitzerndem Körper aus den Meeresfluten. Wie Venus bei ihrer Geburt. Wie einst Ursula Andress in „Dr. No“. Wie zuletzt Halle Berry in „Stirb an einem anderen Tag“. Diese Schaumgeburt macht schlagartig klar, von jetzt an beherrscht ein anderer Männlichkeitstyp das Bild. Vorgänger Brosnan war nicht nur der ironischste, sondern auch der schönste Mann, seit Irland plattentektonisch von der britischen Insel weggebrochen ist: so elegant und makellos, dass selbst Narziss ein Auge auf ihn geworfen hätte.
Daniel Craigs Physiognomie erinnert dagegen an einen Raufbold, der eher die zähe Schule der Liverpooler Docks hinter sich hat als eine Pennälerzeit in Eton. Craig, der bei weitem virilste Bond seit Connery, ist nicht zu Scherzen aufgelegt. Der Mann steht für die harte Tour. Das gilt zunächst einmal für seine unverschämte Pektoral- und Abdominal-Muskulatur sowie vermutlich alles, was weiter südlich davon angesiedelt ist – was selbst den Schurken Le Chiffre zu einer homoerotischen Bemerkung reizt. Es trifft aber vor allem auf seinen, nennen wir es, Investigationsstil zu. Noch nie hat Bond brutaler zugeschlagen. Noch nie hat er im Nahkampf so rücksichtslos sein Todesurteil vollstreckt. Noch nie hat er soviel dreckiges Blut am Stecken gehabt. (Kurze Zwischenfrage: Könnte es sein, dass sich die Leute von der Freiwilligen Selbstkontrolle, die diesen Film ab 12 freigegeben haben, ein paar Martinis, wenn nicht gar Wodkas zuviel schütteln ließen?)
Wie nicht anders zu erwarten, gibt es in diesem Film sensationelle Kampfszenen und Verfolgungsjagden. Was unerwartet kommt: Der schwitzende (!) Bond bestreitet sie nicht im Smoking sondern im Polohemd oder Sweatshirt. An einer Stelle trägt er Jeans. Einmal sieht man ihn sogar, um Himmelswillen, mit einem Ford vorfahren! Zugegeben: Es gibt ein paar rasend spannende Pokerszenen, in denen Bond mit schwarzem Anzug und Fliege auftritt. Aber sonst? Der Gentleman mit Hirn, Charme und Kanone hat ausgedient. Der neue Bond ist weniger snobistischer Sir James als egalitärer Jimmy B – auch wenn er später in einen Aston Martin einsteigt. Es ist nicht mal abwegig, dass dieser Bond mit Kerlen zusammenarbeiten würde, die er früher nicht mal ignoriert hätte: abgeschmackte amerikanische Kollegen wie Ethan „Mission: Impossible“ Hunt oder Jason Bourne aus „The Bourne Identity“, der Bond mehr also nur die Initialen geklaut hat. Bond imitiert seine Imitatoren. Kann das gut gehen?
Vermutlich nicht – stünde dieser Banalisierung nicht ein Zugewinn an Tiefenschärfe der Figur entgegen. „Casino Royale“ folgt einem Trend, der mit „Spiderman“ und „Hulk“ begann und im letzten Jahr bei „Batman Begins“ seinen Höhepunkt fand: die Psychologisierung des Superhelden. Als müssten die Unverwüstlichen psychologisch erklärt werden, setzen diese Filme traumatische Urszenen als Antriebsursache für ihre nie zum Stillstand kommenden Heroen. Dieser Trend zur Psychologisierung hatte sich im letzten Film angedeutet, als Bond gefoltert wurde und Madonna auf dem Soundtrack bat: „Sigmund Freud, analyze this“. „Casino Royale“ geht noch zwei Schritte weiter. Plötzlich zeigt Bond Gefühle. Ja, er thematisiert sie sogar. Durch die vibrierenden Screwball-Wortduelle mit seiner Partnerin Vesper Lynd erlangt Bond so etwas wie Selbsterkenntnis. Unerhört, das! Dass er sich dabei sogar verliebt, scheint dann auch nicht mehr abwegig – zumal sein weibliches Gegenüber von Eva Green gespielt wird. Regisseur Martin Campbell („Goldeneye“) hat Bond, der immer eine Comicfigur ohne Comicvorlage war, damit beinahe zu einem Sterblichen gemacht.
Auf der Gewinn- und Verlustrechnung darf jedoch der Mangel vieler liebgewonnener Attribute der Bond-Serie nicht unerwähnt bleiben. Wo, bitteschön, steckt die ewige Sekretärin Moneypenny? Wo macht der Bastler Q? Was ist mit der Walther PPK geschehen? Und: Wo sind die anzüglichen Doppeldeutigkeiten geblieben? Es gibt Hinweise darauf, dass manches davon beim nächsten Mal wiederkehren könnte. In der allerletzten Szene wird endlich das berühmte Bond-Thema von Monty Norman angestimmt. Seiner legeren Klamotten entledigt, tritt Bond im dreiteiligen Nadelstreifen-Anzug auf. Es folgt, lange erwartet, der letzte Satz des Films: „Meine Name ist Bond, James Bond.“ Hat er seine wahre Identität gefunden? Wir werden sehen.