„Ferien“ (2007) von Thomas Arslan
Ja, sicher: Es geht um Lob und Leid der Familienbande. Es geht um das Aufkeimen und Verwelken von Beziehungen. Es geht um Distanz und emotionalen Frost zwischen Menschen, die sich nur deshalb nahe stehen, weil ihr Geburts- oder Trauschein es so will. Das alles kann und darf man nicht übersehen, wenn sich in einem Landhaus irgendwo in den Wäldern der Uckermark eine vier Generationen umfassende Familie nach langer Zeit wieder zusammenfindet. Die krebskranke Urgroßmutter; die schwermütige Hausherrin; deren zerstrittene Töchter samt Mann und Kindern – sie alle kommen im lauen ostdeutschen Sommer zusammen, um gemeinsam die Ferien zu verbringen. Doch schon bald legt sich Überdruss wie kalter Morgentau über das Anwesen. Der Ennui eines bittersüßen Nichtstuns verbreitet sich. „Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben“, hat Karl Kraus gesagt – und damit wieder einmal recht gehabt.
Das schwierige Feld der Verwandtschaft ist thematisch wohl beackertes Terrain, bekannt aus Theater, Film und Fernsehen. Aber: Bei Thomas Arslan sind wir nicht in einem Tschechow-Stück. Wir sehen kein Bergman-Drama. Und wir wohnen auch keinem Rudolf-Thomé-Film bei. Tschechow, Bergman, Thomé – alle drei sind verwandte Künstler, die sich auf ähnlichem Terrain bewegen. Doch letztlich geht Arslan dann doch eine entscheidende Nuance anders vor. Wer seinen Willkommen- und Abschiedsfilm daher nur auf Handlung hin betrachtet, sieht höchstens die Hälfte. „Ferien“ ist, wie so oft bei Arslan, ein minutiös ausgefeiltes Formen- und Stimmungsspiel. Man kennt mittlerweile die Stilmittel: die weitgehend regungslose Kamera, die wie von fern auf das Geschehen blickt; die klaren, oft geometrisch angeordneten Kompositionen; der Vorrang der mise-en-scène gegenüber der Montage; der Originalton, der häufig aus dem Off gesprochen kommt; die entemotionalisiert agierenden Schauspieler (unter anderem: Karoline Eichhorn und Angela Winkler, die hier wie eine Wiedergängerin von Susan Sontag wirkt)… Wegen dieser formalen Strenge und asketischen Hingabe an eine Regelpoetik drängt sich für Arslan ein Ausdruck auf, der einem im Zusammenhang mit dem Gegenwartskino ungewohnt und fremd vorkommt: Seine Filme sind klassizistisch.
Gleichzeitig vertritt Arslan ein Kino das Leidenschaften und Emotionen zurückdrängt und stattdessen auf Stimmungen vertraut. Sein stiller, hochkonzentrierter, traumhaft schöner Film ist auch – und vor allem – ein berückendes Landschaftsstück, das die Sommertage in gleißende Naturbilder fasst. Hier wogen die rauschenden Bäume in der sanften Sommerbrise. Grillen zirpen, Vögel zwitschern, Schmetterlinge flattern über grüne Sommerwiesen. Als würde sie sich selbst genügen und teilnahmslos das Missvergnügen ihrer Gäste vermerken, steht die Natur bei Arslan als lebendiger Kontrast zu den leblosen Großstädtern aus Berlin. Die Natur leuchtet still – die Menschen leiden stumm. Auch wenn die Stadtmenschen zur Erholung aufs Land flüchten, der natürlichen Schönheit und Stille werden sie nicht gerecht. „Wie ruhig das hier ist“, sagt Karoline Eichhorn einmal. Und meint es nicht als Kompliment.