Servus Bayern!
Was macht eigentlich Herbert Achternbusch? Eine Ausstellung in der Münchner Monacensia erinnert an den vergessenen Allround-Provokateur
Das waren noch Zeiten. Als die ARD am Abend des 8. Novembers 1977 Wolfgang Petersens Homosexuellen-Drama „Die Konsequenz“ ausstrahlte, klinkte sich der CSU-dominierte, kirchennahe Bayerische Rundfunk mit fadenscheiniger Begründung aus dem Gemeinschaftsprogramm aus. Ein Film über das Schwulsein? Das ging gar nicht. Zwei Jahre später schwappte in Bayern eine Woge der Empörung hoch, weil die Musiker der „Biermösl Blosn“ die Hymne des Freistaates frech verfremdet hatten − was an Hochverrat grenzte. Oder im Mai 1986: Die Kabarett-Sendung „Scheibenwischer“ thematisierte satirisch den Tschernobyl-GAU. Doch im Wiederaufbereitungsanlagen-Land Bayern kam das gar nicht gut an. Auch damals zog sich der tiefschwarze BR entrüstet aus der ARD-Übertragung zurück.
Solche Geschichten aus der fernen Zeit wehen einem durch den Kopf, wenn man dieser Tage durch die Räume der Monacensia-Villa schlendert. Das idyllisch oberhalb der Isar-Auen gelegene Literaturarchiv der Stadt München widmet derzeit einem Mann eine Ausstellung, der genau in diesem 70er- und 80er-Jahre-Klima von konservativer Staats- und Kirchentreue zu Höchstform auflaufen konnte: Herbert Achternbusch. Auch der Münchner Universal- und Provokationskünstler − Filmemacher, Schriftsteller, Maler, Bildhauer und Weißbier-trinkender Grantler − war ja immer wieder mit den Obrigkeiten zusammengerumpelt. Höhepunkt war das Jahr 1983, als ihm der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann von der CSU die letzte Zahlung der Filmförderungsrate für seinen Film „Das Gespenst“ verweigerte. Begründung: Das religiöse Empfinden großer Teile der Bevölkerung würden verletzt.
Doch die 70er und 80er Jahre sind lange vorbei. Romane wie die „Alexanderschlacht“ (1971) oder den „Bierkampf“-Film (1977) kennt kaum einer mehr. Es ist bedenklich still geworden um Achternbusch − woran er nicht ganz unschuldig sein dürfte. Sein ruppiger Nonkonformismus hat Freundschaften verschlissen, berufliche Beziehungen zu Intendanten wie Dieter Dorn zerstört und ihn auf eine Odyssee durch die Verlage geschickt: von Suhrkamp über Fischer, Hanser und Kiepenheuer & Witsch bis zur österreichischen „Bibliothek der Provinz“. Mittlerweile ist er wieder bei Fischer gelandet, und was er seinem ehemaligen österreichischen Verleger hinterherschickt, kann man nur mit einiger Gutmütigkeit als Grant abtun. Natürlich kommt es auch nicht bei jedem gut an, durch Achternbuschs radikal-autobiographische Arbeiten ständig ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden, weshalb mancher Vertraute mit der Zeit auf Abstand ging.
Daher kommt es fast ein wenig überraschend, wenn Achternbusch nun plötzlich dem Nebel des Vergessens entsteigt. Zunächst durfte man im Mai aufhorchen, als der Schauspieler Sepp Bierbichler beim Deutschen Filmpreis sein Preisgeld an Achterbusch weitergeben ließ und sich einige fragten: „Was? Den Achternbusch gibt’s auch noch?“ Im Jahr 2007 wurden dann drei seiner Theaterstücke in Mannheim, Wien und bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen uraufgeführt. Noch für dieses Jahr ist eine DVD-Box zu erwarten mit einigen seiner berüchtigtsten Filme (bisher liegt nur eine Auswahl auf Video vor). Und jetzt, wo es pfeilgerade auf seinen 70. Geburtstag am 23. November zugeht, kommt auch noch die kleine Münchner Ausstellung dazu.
„Kunst kommt von kontern, nicht von können“, steht dort zu lesen. Ein Zitat, das programmatischer nicht sein könnte. Das Aufbegehrende und Anarchische steckt in allen artistischen Äußerungen des Allrounders und Anti-Alleskönners Achternbusch. Die Ausstellung trägt nicht zu Unrecht den Titel „Das Ich ist ein wildes Tier“. Es sind Original-Manuskripte zu sehen mit seinen frühen Schreibexperimenten. Seine naiven Malereien sind ausgebreitet, die überborden und alles als Untergrund nutzen, von den Einbänden der gelben Reclam-Bändchen über Wirtshaus-Rechnungen bis zu den Wänden seiner Wohnung kurz hinterm Marienplatz. In einem Nebenraum werden Filme wie „Der Neger Erwin“ (1981) projiziert. Darüber hinaus kann man ihn als Schöpfer valentinesker Aphorismen wie „Nix ist besser als gar nix“ oder „Du hast keine Chance aber nutze sie“ erleben. Noch einmal wird uns also Achternbuschs extremer Ausdrucks- und Provokationswillen ins Gedächtnis gerufen.
Allein: Achternbusch selbst hat keine Lust mehr. Spricht man ihn darauf an, wann er wieder Regie führen wird im Kino oder Theater, schimpft er los über die „Blutorgien“ auf der Bühne und darüber, dass 28 Filme genug seien: „Das waren über 20 Jahre Schufterei. Das langt!“ Ja, der Kunst-Beserker Achternbusch nimmt sogar mehrfach das Wort „faul“ für sich in Anspruch. Und obwohl gerade wieder dieses neuerliche Interesse an seiner Arbeit wach wird, schickt er hinterher: „Wenn es keinen mehr interessiert, mache ich auch nichts mehr.“ Vielleicht ahnt er, dass seine Wiederentdeckung im Zeichen der „Aufarbeitung“ steht, wie er selbst es nennt.
Und hieran erkennt man dann auch, dass es möglicherweise noch ein anderen Grund gab für Achternbuschs Abtauchen: Die alten Schlachten sind geschlagen und ihm ist dabei ein Gegner abhanden gekommen. „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt“, hat er einmal über seine Heimat gesagt und ist dann zur Tat übergegangen. Nicht zuletzt wegen bayerischer Querköpfe wie Achternbusch, Fassbinder, Herzog oder Gerhard Polt ist in den letzten Jahrzehnten ein Wind des Wandels durch den Freistaat getost. Das geht soweit, dass mittlerweile selbst im Bayerischen Rundfunk ein Achternbusch-Film wie „Servus Bayern“ (1978) gezeigt wird, dessen ARD-Ausstrahlung noch 1993 durch eine Intervention des BR verhindert wurde. Diese Veränderungsböen mit angefacht zu haben, muss man Achternbusch hoch anrechnen. Wenn Bayern einen wie ihn nicht mehr als Provokation empfindet und dem Widerspenstigen nun in gezähmter Form eine musealisierte Rückkehr ermöglicht, ist das zwar für Achterbusch ein zwiespältiger Ausblick − für seine Heimat aber ein gutes Zeichen.