„Ken Park“ (2002) von Larry Clark & Ed Lachman
Larry Clark ist nicht zimperlich. Der Regisseur mit den Tätowierungen, dessen Gesicht so ledrig und zerfurcht aussieht, als habe er mehr als einmal richtig aufs Maul bekommen, reißt gern die Fäuste hoch zur filmischen Konfrontation. Den manischen Chronisten des amerikanischen Teenageralltags reizt der Skandal. Und „Ken Park“ ist sein bisher größter Affront.
Am Anfang sehen wir, wie ein Junge mit seinem Skateboard die Straßen einer kalifornischen Kleinstadt entlang fährt. Der Teenager biegt in einen Skaterpark ein, setzt sich auf eine Rampe und stellt seinen Rucksack ab. Er packt eine Videokamera aus und richtet den Sucher auf sich. Anschließend greift er sich eine Knarre und hält sie sich an die Schläfe. Dann drückt er ab. Auf dem T-Shirt des Jungen, der Ken Park heißt, steht das Wort: „Independent“. Diese Szene ist ein vorschlaghammerartiger Schockmoment ― und auch ein radikales Statement. Der Selbstmord, sagt uns Larry Clark, ist für den Jungen ein Befreiungsakt: seine digital festgehaltene Unabhängigkeitserklärung an Amerika. Bei Larry Clark gilt aber auch der Umkehrschluss: „Independent“ sind die Ken Parks dieser Welt nur in provokativen Gesten wie dem Suizid, dem Verbrechen, dem Teenager-Sex.
Vielleicht sollte man zur Klärung, um was es Clark geht, einen alten Europäer wie Ken Loach daneben stellen. Beide haben große Sympathie für jugendliche Antihelden. Beide porträtieren verlorene Generationen, deren Zeit der Unschuld längst vorbei ist. Und beide sehen sie die Jugendlichen einzwängt in eine bedrückende Ausweglosigkeit. Bei Ken Loach ist das eine Frage der Klassenzugehörigkeit. Für die Teenager in „Kes“ oder „Sweet Sixteen“ gibt es keinen Weg in die Freiheit, weil sie am unteren Gesellschafts-Ende herumkriechen ohne Chancen nach oben. Larry Clark richtet seinen Blick dagegen auf die kulturellen Zwänge. Shawn, Tate, Claude und Peaches, seine Kids aus der suburbanen Mittelklasse, haben keine Geldprobleme, aber sie schlagen sich mit anderen trostlosen Dingen herum ― vor allem mit ihren Eltern und deren Vorstellungen von Religiosität, Männlichkeit und Familie.
Der Fluchtweg aus dem Teenager-Frust führt bei Clark immer auch über die Teenager-Lust. Deshalb setzt Clark, der sich bei „Ken Park“ die Regie mit seinem Kameramann Ed Lachmann geteilt hat, den Sex der Jugendlichen drastisch in Szene. Er beobachtet einen Jungen, wie er masturbiert und sich gleichzeitig stranguliert. Ein Mädchen, das sich von zwei Jungs bearbeiten lässt, zeigt ungeniert Spaß daran. Das hat ihm von konservativer Seite wütende Vorwürfe eingebracht. Und ganz von der Hand zu weisen, sind diese Proteste nicht. Das liegt aber weniger an dem, was er zeigt, als daran, wie er es kombiniert. Manche seiner Montagen sind so aufdringlich, dass man sie sich wie begrabschende Hände vom Leib halten möchte. Einmal schneidet er von einem Mann, der am Grab seiner Frau in Trauer versinkt, auf dessen Tochter, die zu Hause S/M-Spiele mit ihrem Freund veranstaltet. Ein anderes Mal verbindet er Einstellungen von Sexszenen zwischen einer Hausfrau und einem Teenager, mit Szenen eines vernachlässigten Kleinkindes, das im Fernsehen halbnackte Frauen begafft. Diese Szenen sind so plump und plakativ, dass man Clark für halbdebil halten könnte.
Andererseits gibt es Momente in diesem Film, die so packend sind, wie man sie bei Clark seit seinem fulminanten Debüt „Kids“ nicht mehr gesehen hat. Nicht in „Another Day in Paradise“. Und nicht in „Bully“. Von Anfang an liegt eine fatale Spannung über diesem Film. Man ahnt, dass nach Ken Parks Selbstmord noch andere Verzweiflungsbefreiungsakte folgen werden. Denn die Teenager halten von der Erwachsenenwelt nicht viel. It sucks!