„Le premier venu“ von Jacques Doillon (2008)
In Arthur Penns „Night Moves“ spricht Gene Hackman den bösen Satz „Ich habe mal einen Rohmer-Film gesehen. Es war, als würde man Farbe beim Trocknen zusehen.“ Dieses Zitat in einer Kritik über „Le premier venu“ von Jacques Doillon anzuführen, einem Regisseur der gerne mit Rohmer verglichen wird, ist vielleicht nicht ganz fair. Zum einen verbreitet man damit das Vorurteil, Eric-Rohmer-Filme seien langweilig. Zum anderen wird man Doillons Film nicht gerecht: Wer Farbe beim Trocknen zusieht, erlebt einen vergleichsweise aufwühlenden Wandlungsprozess.
„Le premier venu“ handelt von drei, vier oder gar fünf Personen, die sich in einem nordfranzösischen Küstenstädtchen über den Weg laufen. Es gibt wenig Sonnenschein. Die Farben sind bleich. Die Handlung, die sich über ein paar Tage erstreckt, ist elliptisch gehalten. Meist sieht man die Figuren in Zweierkonstellationen und in Nahaufnahmen kadriert. Im Hotelzimmer, am Strand, auf der Straße, in der Wohnung. Dabei reden sie. Und reden. Und reden. Zwischendurch ertönen immer mal wieder ein paar Takte Debussy.
Die entscheidende, wenngleich nie beantwortete Frage lautet: Was treibt diese Figuren an? Im Mittelpunkt steht Camille (Clémentine Beaugrand), eine hübsche Frau, ungefähr Mitte Zwanzig, die ständig in den gleichen Schlabberklamotten herumläuft, ein schmollmündiges „Amélie“-Gesicht aufsetzt und dabei ähnlich viel Sexappeal verströmt wie ein Bierkutschen-Gaul. Sie ist hinter Costa (Gerald Thomassin) her, einem drahtigen Ex-Junkie, der sie in Paris möglicherweise vergewaltigt hat. Oder auch nicht. Außerdem tritt Cyril (Guillaume Saurrel) auf, ein Polizist, der Camille toll findet und Costa nicht mag. Zwischen Camille, Costa und Cyril passiert dann ab und an mal was. Aber nicht viel.
Der 66-jährige Doillon ist bekannt für seine extrem genaue Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wer Filme wie „Le Jeune Werther“ oder „Ponette“ kennt, wird ihn dafür lieben. In „Le premier venu“ scheint er seine gesamte kreative Energie darauf verwendet zu haben, eine Geschichte absolut kunstlos zu erzählen. Das hat nichts mit Bressonschen Purismus zu tun, sondern gleicht einem verweigernden Anti-Kino: emotionslos, frei von Erotik, breiig mäandernd – mithin das glatte Gegenteil von Rohmer. Das könnte einen gewissen Reiz haben. Doch Doillon inszeniert seine Figurenkonstellationen so theatralisch, gestaltet die Handlung so unplausibel, dass er damit bis die Grenze des Lachhaften geht. Was Gene Hackman dazu sagen würde, wissen wir nicht. Sicher ist: „Le premier venu“ anzusehen, gleicht einem zweistündigen Blick in einen offenen Eimer voll Grau.