Interview mit Michael Mann zu seinem Film „Ali“
Mr. Mann, Muhammad Ali ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, eine lebende noch dazu. Ein Hindernis für einen fiktionalen Filmemacher?
Ja, es war ein Problem. Es ist wie, wenn man einen Film über die Schlacht von The Alamo macht: Jeder weiß, wie es ausgeht. Jeder kennt Ali. Darüber hinaus bedeutet er vielen Menschen sehr viel. Und diese Bedeutung ist auch noch für jeden anders. Auch wenn man einen noch so glaubhaften Film über Ali macht, würden Leute aus dem Publikum sagen: „Du hast die falsche Geschichte erzählt. Wichtig wäre gewesen, als Ali in Atlanta die olympische Flamme entzündete.“ Oder: „Die Kämpfe gegen Joe Frazier waren entscheidend, nicht der Kampf gegen George Foreman.“ Meine Lösung war, einen Film darüber zu drehen, was es heißt, Ali zu sein. Ich wollte das Publikum in seine Haut schlüpfen lassen, indem ich durch die Erzählperspektive der ersten Person ein sehr subjektives Gefühl erzeuge.
Mehr als in jedem anderen Ihrer Filme verwenden Sie in „Ali“ einen sehr elliptischen, anspielungsreichen Stil.
Wir konnten uns auf eine Menge Vorwissen beim Publikum verlassen. Eine Einführung in seine Geschichte war nicht nötig.
Das macht es andererseits für ein jüngeres Publikum nicht ganz einfach.
Das ist richtig. Amerika ist heute nicht annähernd so wie 1964. Die Leute denken, sie wissen Bescheid über Rassenvorurteile. Aber sie wissen nicht, was die de facto Apartheid von Louisville, Kentucky bedeutete. Sie wissen, dass Ali gegen den Vietnamkrieg war. Aber sie wissen nicht, was es ihn kostete. Er opferte dafür seine besten Boxer-Jahre. Deshalb mussten wir zurückgehen und zumindest einige dieser Informationen vermitteln.
Dass Ali gegen die Bürgerrechtsbewegung war, haben Sie allerdings außen vor gelassen.
Wir haben sie nicht wirklich außen vor gelassen. Seine Haltung wird klar durch seine Verbindung mit Malcolm X und dessen Haltung gegen die Integration. Die Nation of Islam war schwarzer Nationalismus. Sie war keine gewaltlose Bewegung zivilen Ungehorsams wie die Southern Christian Leadership Conference von Martin Luther King. Deswegen hat das weiße liberale Publikum in dieser Hinsicht auch in Problem mit dem Film. Sie würden sich gerne anders daran erinnern. Aber das hat auch eine bevormundende Art, die einen unbewussten Rassismus enthält.
Der Geschichte von Malcolm X wird in „Ali“ viel Zeit gewidmet. Warum?
Ich war sehr bewegt von der tragischen Beziehung der beiden Männer, die wie älterer und jüngerer Brüder zu einander waren. Die Strenge des jungen Ali, der einen neuen Glauben annimmt und aus ideologischen Gründen den Mann zurückweist, an dem sein Herz hängt. Ali liebte Malcolm X. Und er tut es noch immer. Doch wohin sich Malcolm bewegte kurz bevor er erschossen wurde ─ eine säkularere Einstellung, die mehr auf globale Politik ausgerichtet war ─, dort kam Ali erst 1974 an. Diesen Widerspruch fand ich ziemlich verblüffend. Viele dieser Einblicke kamen übrigens von Malcolms Tochter, die sehr eng mit uns zusammenarbeitete.
Auf welche Quellen griffen Sie darüber hinaus zurück? Leon Gasts Dokumentarfilm „When We Were Kings“? David Remnicks berühmte Biographie?
Wir verbrachten ein Jahr mit akademischer Forschung. Wir konnten auf die vielleicht größte Ali-Datensammlung der Welt zurückgreifen. Wir hatten Ali selbst und drei seiner Frauen. Sein Fotograf und bester Freund Howard Bingham war ausführender Produzent. Sein Trainer Angelo Dundee stand uns für das Boxen zur Seite. Wir hatten die Bücher von Remnick, Thomas Hauser und Norman Mailer. Und wir hatten nicht nur Leon Gasts Film, sondern zusätzliche 18 Stunden an faszinierendem Material, die es nicht in seinen Film geschafft hatten.
Inwiefern wurde Ali in den Film miteinbezogen?
Außer in Afrika war Ali überall am Set dabei. Will Smith spielte „Ali“, während Ali daneben stand.
Kein Problem für Will Smith?
Nein. Schwierig war es nur einmal, neun Monate vor Beginn der Dreharbeiten, als Ali das erste Mal in die Turnhalle kam. Will Smith sah ihn an und fühlte sich herausgefordert, als „Ali“ mit Ali zu sprechen. Ali schaute sich das an. Dann drehte er sich zu Howard Bingham und sagte: „Wenn ich je so verrückt war, warum hast du mich dann nicht davon abgebracht?“
Die Figur Ali ist den Protagonisten ihrer letzten Filme „Heat“ und „The Insider“ sehr ähnlich: Sie alle sind Personifikationen des amerikanischen Individualismus.
Ich bin angezogen von Charakteren, die den Lauf ihres Lebens selbst bestimmen. Natürlich gibt es Einflüsse des sozialen Umfelds. Und natürlich gibt es Kräfte, die einen an externe Wertesysteme anpassen wollen. Aber ich bestimme, wer und was ich bin. Diese Konflikte des Selbst mit dem äußeren Rahmen unsere Existenz faszinieren mich. Und das ist es auch, was mich an Ali interessiert hat. Der Mut etwa, den er aufbringen musste, als er sich 1967 gegen den Vietnamkrieg aussprach. Damit lehnte er sich ja nicht nur gegen das weiße Establishment auf, sondern auch gegen das schwarze. Ali wurde von jedem angeprangert: von Jackie Robinson, von Joe Louis. Ali muss damals der einsamste Afroamerikaner der Welt gewesen sein.
Bevor der Film herauskam, gab es eine mediale Auseinandersetzung mit Spike Lee.
Ich hatte keine Auseinandersetzung mit ihm. Er hatte Probleme, weil er Regie führen wollte.
Er behauptete, dass nur ein Schwarzer die Geschichte von Cassius Clay angemessen erzählen könne.
Das ist eine Form von Rassismus. Das würde heißen, dass kein Afroamerikaner „Hamlet“ inszenieren kann ─ man müsste Däne dafür sein. Und was ist mit Historienfilmen? Muss man 1750 geboren sein, um „Der letzte Mohikaner“ machen zu dürfen? Glaub ich nicht. Doch zu sagen, dass einen Film über Ali zu machen, etwas Einfaches wäre, ist das Letzte, was ich behaupten würde. Und erst recht nicht, wenn man andere Erfahrungen gemacht hat wie er: Er ist Afroamerikaner und ich bin es nicht. Doch es gibt auch Parallelen. Wir sind aus der gleichen Generation. Außerdem lebte Ali lange in Chicago, wo ich aufgewachsen bin. Ali ging 1964/65 in die selben Bars an der South Side, in die ich 1966/67 ging. Ich glaube, wir haben es geschafft, einen afroamerikanischen Film zu machen. Das afroamerikanische Publikum mag ihn, darunter einige der strengsten afroamerikanischen Intellektuellen wie Cornell West und Dick Gregory. Und auch Ali und seine Familie mochten den Film sehr. Er hat ihn bisher siebzehn Mal gesehen.
Die Nation of Islam, die in dem Film nicht gut weg kommt, und ihr derzeitiger Führer Louis Farrakhan dürften weniger enthusiastisch reagiert haben.
Die Nation of Islam hat nichts negatives über den Film gesagt. Aber die Nation of Islam von heute ist auch nicht mehr die von damals. Als ihr Führer Elijah Muhammad 1974 starb, führte sein Sohn Wallace die Sekte in Richtung konventionellen, orthodoxen Islam und benannte sie um. Ali ging mit Wallace. Er glaubt an den Islam, wie es jemand aus Pakistan tut. Louis Farrakhan dagegen behielt den Namen und eine kleine Splittergruppe zurück. Er ist einfach gut darin, eine Menge Publicity zu bekommen. Aber er ist nicht sonderlich bedeutend. Wir haben sogar neben Farrakhans Haus gedreht und er hat Will und mich zum Abendessen eingeladen. Aber wir hatten keine Lust hinzugehen.