„No Man’s Land“ (2001) von Danis Tanovic
Der Schützengraben liegt verlassen im tödlichen Niemandsland. Die Sonne brennt vom Himmel. In der Luft surren aasige Fliegen. Patronenhülsen und eine Artilleriekanone rosten einsam vor sich hin. Der Graben durchzieht einen Streifen Nichts zwischen den Fronten. Auf der einen Seite lauern die Bosnier, auf der anderen kauern die Serben. Es herrscht Krieg, Stellungskrieg im Lande Absurdistan.
Drei Typen hat es in diesen Graben verschlagen. Ciki (Branco Djuric), der bosnische Soldat mit dem zerfurchten Gesicht und dem Rolling-Stones-T-Shirt. Er ist angeschossen, knapp über dem Herz. Nino (Rene Bitorajac), das serbische Greenhorn mit Nickelbrille und Glatze, hat einen Schuss in den Bauch bekommen. Verletzt und gefangen: Beide stecken sie in der gleichen Scheiße. Sie sprechen die gleiche Sprache. Sie kennen sogar, noch von früher, die gleiche Frau. Doch ihr Misstrauen wächst sich langsam in Hass aus. Bis sie zum Messer greifen. Ganz archaisch.
Dazwischen liegt Cikis Freund Cera (Filip Sovagovic). Unter ihm ist eine Springmiene aktiviert. Wenn er sich bewegt, geht die Miene hoch. „Weil wir etwas Zeit haben, wollen wir uns amüsieren“, hatte ein serbischer Soldat gesagt, als er die Miene unter Cera, dem lebenden Toten, versteckte. Schöner Spaß. Wer die lebendige Leiche berührt, wird selbst zur Leiche: Der Krieg ist die Pest. Die Miene ist das zentrale Bild dieses Films. Es mag Zufall sein, aber auch der zweite wichtige Frontfilm der letzten Monate, Park Chan-wooks „Joint Security Area“, hat dieses Bild genutzt. In beiden Filmen wird die Miene zum Sinnbild für Hinterhältigkeit, Ausweglosigkeit und Erstarrung. Übrigens ist die Springmiene in Tanovics Film „Made in EU“. Stell dir vor es ist Krieg ─ und alles spinnt!
Der Bosnier Danis Tanovic kennt sich aus mit seinem Stoff. Er hat Dokumentarfilme über den Bosnien-Krieg gedreht. Und er hat als Filmarchivar der bosnischen Armee gearbeitet. Dreihundert Stunden Material von unterschiedlichen Sendern hat er damals gesammelt. Er weiß also, wie die Bilder des Bosnien-Krieges aussehen, die um die Welt gegangen sind. Er weiß daher auch, wie seine Bilder aussehen müssen, wenn sie nicht das Bekannte vervielfältigen wollen. Einmal baut er eine längere Dokumentar-Sequenz mit den vertrauten Fernsehbildern ein. Sie wirkt wie ein Kontrastmittel, durch das sich die eigene Inszenierung abhebt.
Sein Film erinnert an die Schützengräben-Filme über den Ersten Weltkrieg wie „Die andere Seite“ von Heinz Paul. Auch bei Tanovic, der für seinen ersten Spielfilm gleich den Oscar und den Golden Globe für den besten ausländischen Film gewonnen hat, wird der Krieg beinahe kammerspielartig in Szene gesetzt. Verglichen mit den Stahlgewittern, die John Woo oder Ridley Scott zuletzt auf uns niederprasseln haben lassen, herrscht hier eine hitzige Ruhe. Und anders als die amerikanischen Filme versucht er nicht, den Zuschauer körperlich zu packen und in den Krieg hinein zu zerren. Statt dessen lässt er sein Publikum lachen über die makabre Absurdität des Krieges.
Von Anfang an fehlt den Leuten der Durchblick. Der Film beginnt im dichten Nebel des Morgengrauens. Orientierungslos tastet sich eine Soldateneinheit voran. Als sich der Dunst lichtet, hagelt es Kugeln und reißt beinahe alle in den Tod. Auch die französischen Blauhelm-Soldaten, die später hinzugezogen werden, verirren sich im Nebel ─ im Nebel der Sprache. Die „Schlümpfe“, wie sie genannt werden, sprechen kein serbokroatisch. Die Kriegsparteien können kein französisch. Und das Englisch ist nur vorgetäuscht. Sag einfach nur yes, yes, yes zu allem, rät der serbische Soldat seinem Kommandanten. Und auch den Journalisten, angeführt von der Britin Jane (Katrin Cartlidge in einer ihrer letzten Rolle), fehlt der klare Blick. Sie werden manipuliert von den Militärs. Und der eigene Ehrgeiz lässt die Wahrheit vor den Augen verschwimmen. Am Ende des Films geht die Sonne unter. Doch die Situation ist keinen Deut klarer geworden. Es ist ein ganz normaler Tag im Bosnien-Krieg. Alles völlig undurchsichtig.