„Pigs Will Fly“ von Eoin Moore (2002)
Laxe ist ein sympathischer Kerl. Und ein brutales Arschloch. Er schlendert durch das Märkische Viertel und grüßt die Leute. Ein lächelnder Berliner Polizist, den alle mögen. Doch plötzlich jagt ihm das Blut in den Kopf und Eifersucht und Hass explodieren in ihm. Dann prügelt er los und tritt wie wild auf seine wehrlose Frau ein. Ein wahnsinnig einnehmender Typ. Aber manchmal eben auch ein Wahnsinniger.
Der Regisseur Eoin Moore ergötzt sich nicht an der Gewalt. Aber er schaut auch nicht weg. Er bleibt einfach dran an seiner Hauptfigur. Schonungslos. So dicht, dass der Film manchmal bis in Laxes Kopf hinein zu kriechen scheint und die Töne ganz subjektiv verzerrt werden. Wie schon in seinem ersten Spielfilm „plus-minus null“ hat Moore seinem Kameramann Bernd Löhr die Digitalvideo-Kamera in die Hand gedrückt, um so dem großartigen Hauptdarsteller Andreas Schmidt ganz nahe rücken zu können. Diese Nähe macht den Film manchmal zur Tortur. Aber darin liegt natürlich auch seine Stärke. Ein Film aus dem Blickwinkel des Täters: Moore will die Figur ganz ─ oder gar nicht.
Pigs Will Fly… Das Fliegen ist ein Leitmotiv in diesem Film. Die Meerschweinchen, die Laxe an einem kleinen Fallschirm von den Häusern fliegen lässt; die Möwen am Himmel, die ungestört durch die Luft gleiten; Laxes Flug über den Atlantik zu seinem Bruder in San Francisco. Fliegen verspricht Freiheit. Aber es bleibt ein Versprechen. Denn auch in Kalifornien, wo sich Laxe eine geistige Reinigung erhofft, wird er die Geister der Vergangenheit nicht los. San Francisco ist hier das weltoffene Gegenstück zu Laxes kleinbürgerlicher Enge in Berlin. Hier die Lesben auf der Straße, das WG-Leben, die asiatischen Taichi-Sportler im Park. Dort die Plattenbauten, durch die einem die Sicht auf den Horizont verbaut ist. Immer wieder lässt Moore durch Glasscheiben hindurch filmen, um Laxes mentale Enge in Deutschland zu unterstreichen.
Wie schon in „plus-minus null“ (1998) und „Conamara“ (2000) hält Moore konsequent die emotionale Spannung zwischen seinen Figuren. Ständig hat man Angst, das fragile zwischenmenschliche Gebäude könnte gleich zum Einsturz kommen und alle unter sich begraben. Dadurch packt uns Eoin Moore und zerrt uns hinein in das Schicksal seiner einfachen Leute: Bauarbeitern, Postbotinnen und Polizisten.
Laxe umarmt mit Boxhandschuhen und verwundet mit seinen Gefühlen, heißt es in einem Gedicht seines Bruders. Zum Einschlafen braucht er ein Licht neben dem Kissen. Wie ein kleiner Junge, der einmal in einem Schrank eingesperrt war und sich nun fürchtet, von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Erst allmählich und ganz beiläufig konfrontiert uns der Film mit Laxes Trauma. Dazu ist die Reise nach Amerika immerhin gut: Durch die Begegnung mit dem Bruder (Thomas Morris) und der Affäre mit der deutschen Inga (Laura Tonke) lässt sich das Verdrängte nicht mehr unterdrücken. Von außen wird gerüttelt am engen, aber schützenden Stahlmantel, den Laxe um seine Vergangenheit gehüllt hat. „Pigs Will Fly“, Eoin Moores dritter Spielfilm, ist das aufreibende Psychogramm eines Neurotikers. Und die Suche nach einer Antwort auf Laxes Frage: „Bin ich wirklich so ein Monster?“