„Far From Heaven“ (2002) von Todd Haynes
Die windschnittigen Oldsmobiles gleiten zweifarbig dahin. Die grünen Reifröcke wippen lustig beim Gehen. Sehr pastellfarben leuchtet das Innendekor. Und die Bäume und Büsche von Hartford, Connecticut sind entflammt in den Feuerfarben des Indian summer. Alles ist so bunt hier, dass man gar nicht an einen rigiden Gesellschaftskodex glauben möchte. Doch in dieser Welt hat alles seinen Platz. Die Rollen sind klar verteilt. Die Männer erarbeiten den Nachkriegsboom. Die Suburbia-Frauen achten auf Heim und Familie. Die WASPs haben noch einmal einen letzten Höhepunkt als Elite (bevor sie den bourgeoisen Bohemiens werden weichen müssen). Alles ist ordentlich und aufgeräumt. Da genügt es, wenn sich die Kamera ein wenig zur Seite neigt, um für den Zuschauer das Gefüge beinahe aus den Angeln zu heben. Und darum dreht sich dieser Film ja genau: Wie für eine patente, liebenswerte Hausfrau der oberen Mittelklasse, die alles tut für ihren Mann, ihre Kinder und die Einrichtung ihrer Villa Kunterbunt, die zusammen mit ihrem Gatten als perfektes Ehepaar von der Kleinstadtgazette gefeiert wird, wie für diese Frau langsam das Leben zu bröckeln beginnt und dann auseinander fällt, während der Herbst, sehr passend, allmählich in den Winter umschlägt.
Diese Cathy Whitaker lebt in einer Welt der kleinen Lügen vor den Nachbarn, deren Blicke stets wissbegierig sind. Der Film springt deshalb mehrmals aus einer kompromittierenden Position zurück zur Sichtweise der Klatschdenunzianten. Der Hauptdarstellerin Julianne Moore gelingt dabei etwas beinahe Unmögliches: Ihr Gesicht errichtet eine undurchsichtige Fassade vor Cathys emotionaler Verdrängung und lässt dennoch ganz tief in ihr Inneres blicken. Einmal sitzt sie mit ihren Freundinnen beim Kaffeeklatsch. Alle kichern über die sexuelle Potenz ihrer Männer. Cathy, deren Mann ein „Problem“ hat, lächelt bloß. Sehr anerkennend, aber auch sehr traurig. Die Figur Cathy zeigt nichts, die Schauspielerin Moore dagegen alles.
Der Regisseur Todd Haynes siedelt seine Geschichte 1957 an, mitten in der hermetischen Welt der amerikanischen Nachkriegsepoche. Es ist die Zeit, als das Unbehagen in der Kultur hinter den Vorortfassaden brodelte. Es ist die Zeit der rassistischen Unruhen von Little Rock, die einmal kurz im Fernsehen zur Sprache kommen. Es ist aber auch die Zeit, als das Fernsehen dem klassischen Hollywoodkino übel zusetzte. Cathys Ehemann Frank (Dennis Quaid) verdankt seinen Reichtum genau diesem neuen Medium; er ist Chef der Magnatech TV-Company. Als er eines abends ins Kino geht, in eine Vorstellung von „Miracle in the Rain“, sind die Sitzreihen nur spärlich besetzt. In dieser Zeit setzte Douglas Sirk dem Fernsehen mit seinen großen Technicolor-Melodramen für Universal die letzten Höhepunkte des Alten Hollywood entgegen: „Magnificent Obsession“ (1953), „Written on the Wind“ (1956), „Imitation of Life“ (1959) und vor allem „All That Heaven Allows“ (1955). Diesen women’s weepies erweist „Far From Heaven“ so liebevoll und detailversessen seine Referenz, wie es zuletzt nur „L.A. Confidential“ für den Film Noir getan hat.
Es gibt keine ironischen Brechungen, kein parodistische Überheblichkeit, keine selbstreflexiven Ausrufezeichen. Dieser Film meint es ernst, sehr ernst. Er ist eine Ehrerbietung ersten Ranges. Aber „Far From Heaven“ ist noch mehr: Haynes dreht da weiter, wo Sirk aufhören musste. Er kleidet seinen Film im Stil des klassischen Melodrams und scheucht dabei die ruhenden Geister der Filmgeschichte auf. Als gälte Freuds „Wiederkehr des Verdrängten“ auch für die Geschichte des Kinos, tauch plötzlich machtvoll auf, was einst unter der Oberfläche gehalten werden musste. Indem er sich in einem Akt radikaler Mimikry Sirks Stil anverwandelt, kann Haynes mit dem Finger auf die peinvollen und peinlichen Leerstellen des amerikanischen Kinos deuten. In „Far From Heaven“ werden diese blinden Flecken nachträglich mit Farbe ausgefüllt: mit dem Pink der Schwulen und dem Schwarz der Afroamerikaner. Das ist Hommage und Zurechtweisung zugleich.
Die Queer-Thematik ist nichts Neues bei Todd Haynes. Wer seine Filme „Poison“ oder „Velvet Goldmine“ kennt, weiß das. Mit „Far From Heaven“ schaut er zurück in eine Zeit, als die Homophobie mit Alkohol verdrängt werden musste und man glaubte, das Schwulsein sei eine Krankheit, die mit Elektroschocks, Hormonen oder der Psychoanalyse behandelt werden könne. Aber das Thema ergibt sich auch aus dem Kontext von Sirks Melodramen. In acht seiner Filme spielte Rock Hudson die Hauptrolle. Wie Dennis Quaids Frank musste Hudson seine Homosexualität verheimlichen, bis kurz vor seinem Tod. Im November 1955 wurde er vom Studio sogar zwangsverheiratet. Andernfalls wäre seine Geschichte von einem Klatschmagazin in die Öffentlichkeit hinausposaunt worden ─ was das Ende seiner Karriere bedeutet hätte.
Dazu flicht Haynes geschickt das Thema Rassismus in die Handlung ein. „Es gibt keine Neger in Hartford“ sagt ein Gast auf einer von Cathys Partys einmal. Die afroamerikanischen Bediensteten, die schweigend daneben stehen, werden degradiert zu invisible men, wie es Ralph Ellison in seinem legendären Roman 1952 genannt hat. Doch für Cathy wird genau das zum Problem: Sie entdeckt einen dieser Unsichtbaren ─ und damit auch ihr Begehren. Zwischen Cathy und ihrem Gärtner Raymond (Dennis Haysbert) entwickelt sich eine verhängnisvolle Affäre.
Liebe zwischen Schwarzen und Weißen? Undenkbar. Die rassistisch verzerrten, angeekelten Fratzen gehören dabei, und das ist das Erstaunliche, nicht nur den Weißen. Die Rassentrennung hat sich so tief in die Gesellschaft eingegraben, dass sie von beiden Seiten verinnerlicht wurde. Es ist zum Heulen ─ im doppelten Sinn.
Schon deshalb ist „Far From Heaven“ bereits jetzt, da mag anlaufen, was will, der schönste Film des Jahres. Dazu kommt die sanfte Musik von Elmer Bernstein, die den Umsatz jeder Taschentuch-Firma erst recht nach oben schrauben wird. Dazu kommt die grandiose Kamera von Ed Lachman, die nicht nur Douglas-Sirk-Einstellungen sondern auch die berühmten Kinogemälde von Edward Hopper heraufbeschwört. Und dazu kommt auch das Design von Mark Friedberg und Sandy Powell, das zwar nicht das Leben aber immerhin das Kino grandios imitiert. Wer „Far From Heaven“ gesehen hat, ist, soviel Pathos sei erlaubt, dem Himmel ein Stück näher.