Io non ho paura (Gabriele Salvatores, 2003)

“Io non ho paura” by Gabriele Salvatores (2003)

Wohin man schaut: Getreidefelder. Weizen, Hafer, Roggen… Eine Kornfeldwüste erstreckt sich über die Hügel Apuliens. Die Welt wogt in golden, gelb, ocker und beige, gesprenkelt mit dem Rot des Mohns. Die Farben blenden. Der Himmel strahlt. Die Sonne brennt. Es sind die Bilder der Landschaft, gleißend und grandios, die von diesem Film im Gedächtnis bleiben, mehr als alles andere.

Man fühlt sich erinnert an die Landschaftssequenzen in Murnaus „City Girl“ und Terrence Malicks „Days of Heaven“, der auf deutsch „In der Glut des Südens“ hieß ― ein Titel, der auch zu diesem Film passt. Die Hitze und das trockene Land: Der Neapolitaner Gabriele Salvatores war immer auch ein Regisseur der glühenden Landschaften. Man denke an das mexikanische Hinterland in „Puerto Escondido“ oder die griechische Insel in seiner Kriegskomödie „Mediterraneo“, mit der er 1992 einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann. Und wie Malick richtet Salvatores seinen Blick immer wieder auf die Tiere des Feldes: Raben, Taranteln, tote Schlangen und Eulen, die Mäuse zerfleischen. Diese Tiere könnten furchteinflössend sein, aber darum geht es ja gerade: die Lippen zusammenzupressen und keine Angst zu haben.

Deswegen zieht es Michele (Giuseppe Cristiano), den mutigen Jungen, der nachts unter der Decke Erzählungen schreibt, hin zu den Quellen der Angst. Er balanciert über dem Abgrund. Er kämpft gegen die Großen. Er sucht den Weg aus dem Licht in die Dunkelheit. In einer verborgenen Grube entdeckt er eines Tages einen entführten Jungen, der in der Tiefe gefangengehalten wird. Dieser Junge, Filippo (Mattia di Pierro), sitzt dort unten wie ein schmutziger Mönch, eingehüllt in eine graue Decke, abgemagert und vor sich hin delirierend. Für ihn ist die Welt schwarz geworden: Seine Augen vertragen das Licht nicht mehr. Filippo wähnt sich verlassen, vergessen, tot. Michele will ihn erlösen, den lebendig Begrabenen wieder erwecken, wie einen zweiten Lazarus. Das Problem dabei ist, dass ihm die Entführer näher sind, als ihm lieb sein kann. Doch Michele trägt nicht umsonst den Namen des Erzengels Michael, der den Teufel niederrang und gegen die Mächte der Finsternis zu Felde zog. Michele ist eine jugendliche Retterfigur.

„Ich habe keine Angst“ (nach dem Roman von Niccolò Ammaniti) ist um ein Reihe von Gegensätzen herum gebaut: oben-unten, hell-dunkel, aber auch Nord-Süd. Es ist ein Film über den armen Süden, den mezziogiorno, der vom Norden nicht nur geographisch Hunderte von Kilometern entfernt liegt. Mailand ist hier nur eine Ahnung, Venedig nur ein Wort. Es ist ein Film über den dunkelhaarigen Michele, der den blonden Filippo von unten nach oben, aus der Dunkelheit ans Licht holt. Vor allem aber ist es die Geschichte eines Sommers ― in der heißen Getreidewüste von Apulien.

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