„Maria Full of Grace“ von Joshua Marston (2004)
„Si, señor“, sagt Maria zu ihrem Vorsteher. Und man sieht, dass ihr die Worte nicht leicht über die Lippen gehen. Maria ist siebzehn. Sie arbeitet in einer kolumbianischen Rosenplantage, in der sie die Blumen von ihren Dornen befreit. Doch der Job, ausbeuterisch und monoton, geht ihr auf die Nerven. Wie ihr prinzipiell manches nicht passt. Maria lebt mit ihrer Familie in einer engen Wohnung. Sie ist schwanger von einem Mann, der nicht viel auf die Beine stellt. Ausgerechnet in dieser Situation lernt sie einen Kerl kennen, der ihr eine Menge Geld verspricht. Der Haken: Maria soll verpacktes Heroin schlucken und ins Land der Gringos schmuggeln. Wenn eines der Päckchen reißt, stirbt sie. Wenn sie von den Zollinspektoren gefasst wird – Pech gehabt. Wenn es gut geht, fängt alles von vorne an. Man möchte sie warnen: Die Sache ist eine tödliche, Maria! Doch natürlich nimmt sie an.
Was dann folgt, ist eine nervenaufreibende Reise vom Hinterland Kolumbiens in die Hinterhöfe von Little Columbia. Der Film hängt sich eng an die Fersen die Hauptfigur, hat aber immer auch ein offenes Auge für das Milieu, in dem er sich bewegt: sei es das Hinterzimmer der Dealer, in dem das Heroin verpackt wird; sei es das Netzwerk der kolumbianischen Einwanderer in New York. Dabei bleibt der Film immer fair zu seinen Figuren. Selbst die Drogenmänner sind keine eindimensionalen Schufte. Das alles aber wäre nicht viel wert, hätte Regisseur Joshua Marston für seinen Erstlingsfilm nicht eine Maria entdeckt, die gebenedeit ist mit einer Natürlichkeit von Elodie Bouchez-artigen Ausmaßen. Die Novizin Catalina Sandino Moreno, dieses Jahr für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert, wechselt mühelos zwischen den emotionalen Plateaus. Sie ist ängstlich, aufwallend, zögerlich, schnippisch, charmant und verkniffen. Und dann gibt es da noch diese Momente, wenn ihr die Kontrolle entgleitet und sie zu Weinen beginnt. Bei diesen Szenen würde selbst der dreckigste Dirty Harry glasige Augen bekommen. Die Frau neben mir im Kino hat jedenfalls ein Taschentuch zu Brei geheult.
„Maria voll der Gnade“ ist ein bewegender, für ein Debüt ausgesprochen runder Film. Aber: Er ist nicht perfekt. Indem der Film von der ersten Szene in der Rosenplantage an darauf besteht, Verweise auf den Katholizismus machen zu müssen, lädt er sich eine Bürde auf, die er eher ungelenk über die 100 Minuten schleppt. Klar, wenn der Dealer Maria die Drogenpäckchen zum Schlucken reicht, soll das an einen Priester erinnern, der während der Kommunion den Leib Christi verteilt. Doch was will Marston damit sagen? Dass Maria voll der Gnade ist, weil sie Heroin in unchristlichen Mengen in ihrem Inneren verstaut? (Als Bayer hat man darüber hinaus schwer damit zu kämpfen, die Heroinpackchen nicht für Miniatur-Weißwürste zu halten, aber gut.) Und man muss dem Film noch einen zweiten Vorwurf machen. Auch daran scheitert er keineswegs, doch ein Fragezeichen bleibt dennoch: Der Film liefert uns keinen überzeugenden Grund, weshalb Maria ihr Leben und das ihres ungeborenen Kindes aufs Spiel setzen sollte. Unserer unzufriedenen Heldin wäre es fraglos ein Leichtes die Männer des Drogenkartells abzuweisen – mit einem kurzen: „No, señor.“