Palindromes (Todd Solondz, 2004)

“Palindromes” (2004) by Todd Solondz

Hier sind ein paar Dinge, mit denen dieser Film nicht einverstanden ist: heuchlerische amerikanische Eltern, heuchlerische amerikanische Kinder, heuchlerische amerikanische Christen, heuchlerische amerikanische Juden. Der Film macht sich lustig über Abtreibungsgegner, wiedererweckte Christen und übergewichtige Teenager (wenn nicht alles täuscht, gab es seit „Gilbert Grape“ keine dickere Frau mehr im Kino zu sehen als hier). Er rümpft die Nase über den rituellen Fahnen-Eid. Und an einer Stelle hat man sogar den Eindruck, als ob ihm auch die Emotionen im Schatten des 11. Septembers nicht passten. Man darf also mit ruhigem Gewissen behaupten: Der Regisseur Todd Solondz fällt nicht in die Kategorie Amerikaner, bei denen der Begriff „glühender Patriot“ seine volle Beschreibungskraft entfaltet. Es wäre sicher ein Spaß, „Palindrome“ mit einem Rechtsausleger wie Bill O’Reilly oder John Ashcroft anzusehen. Rumpelstilzchen käme im Vergleich einem unterkühlten Stoiker gleich.

Der Film beginnt auf einer Beerdigung – wesentlich erfreulicher wird es nicht mehr. Aufgebahrt steht der Sarg von Dawn Wiener, der Hauptfigur von „Willkommen im Tollhaus“ (1995). Die tote Dawn reicht den Staffelstab der verhunzten Teenager an Aviva Victor weiter. Diese ist 13 Jahre alt und hat bereits ein hehres Ziel im Leben: Sie will schwanger werden. Das gelingt ihr ausgesprochen schnell. Die Mutter (Ellen Barkin) findet: zu schnell. Das Kind des Kindes wird abgetrieben. Aviva flieht. Was dann beginnt, ist eine pikareske Reise ins Landesinnere, die uns an „Huck Finn“ erinnern soll. Und hierbei gehen die Provokationen des Regisseurs erst richtig los.

Solondz, der unbeirrbare Eiferer gegen das Pharisäertum der amerikanischen Mittelschicht, zerrt wieder einmal gnadenlos Dinge ans Licht, die sich andere Regisseure nicht mal in den Mund zu nehmen trauen. In Filmen wie „Happiness“ (1998) und „Storytelling“ (2001) waren das: Geschlechtsverkehr zwischen schwarzen Männern und blonden Mädchen, Vergewaltigung, Masturbation und Kindesmissbrauch. Angesichts dessen war auch in seinem neuen Film alles von ihm zu erwarten. Und dennoch hat er es geschafft, uns völlig zu überraschen: Solondz hat seinen ersten belanglosen Film gedreht.

Das hat seinen Grund ausgerechnet in einem Stilmittel, das diesen Film zu etwas Besonderem machen soll. In die Rolle seiner Hauptfigur schlüpfen nämlich insgesamt sieben verschiedene Darstellerinnen (plus: ein Darsteller) – Bunuel hat sich bei „Dieses obskure Objekt der Begierde“ mit einem Viertel davon begnügt. Außerdem sind Solondz’ junge Damen leider das leibhaftige Gegenteil von Carole Bouquet und Angela Molina: moppelige Teenager-Ichs in zu kurzen T-Shirts. Aber das ist noch nicht alles. Irgendwann taucht die 43-jährige Jennifer Jason Leigh in der Rolle der 13-jährigen Aviva auf. Obskur. Man möchte an dieses Stilmittel glauben. Doch was immer Solondz vorhatte – Verfremdung, Verwirrung – es tut seinem Film nicht gut.

Solondz hat es in „Happiness“ geschafft, den Zuschauer Anteil an der Zerrissenheit eines Päderasten nehmen zu lassen. Dieses Mal behandelt er seine Figuren so liebevoll wie ein Dreijähriger seine Spielzeugautos. Ein bisschen Mitleid hätte nicht geschadet. Solondz aber kennt kein Pardon: Mit statischer Kamera hält er drauf auf diese winselnden Versuche, Mensch zu sein, auf diese, wie es bei Mel Brooks heißt: „Möter – halb Mensch, halb Köter“. Und auch seinen eisigen Humor, mit dem er uns sonst für seine gnadenlosen Exerzitien erwärmt, senkt er auf das Niveau des makabren Kalauers: Sein Abtreibungsarzt heißt „Dr. Fleischer“.

Solondz behauptet, „Palindrome“ sei ein Liebesfilm. Das trifft den Punkt so akkurat, als hätte John McNaughton „Henry – Portrait of a Serial Killer“ zur Kinderkomödie erklärt. Andererseits: Es gibt so etwas wie ein Happy End in diesem Film. Aviva findet Otto. Gut. Für die beiden. Doch für den Zuschauer ist da längst zu spät.

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