„Putty Hill“ (2010) von Matt Porterfield
Am Anfang sehen wir ein unaufgeräumtes Zimmer. An der Wand: ein Sonnenfleck, der langsam mit der Dämmerung verschwindet. Hier hat Cody gewohnt. Vor einer Woche ist er verblichen. Dahingerafft von einer Überdosis Heroin.
Wer war dieser Cody? Wieso starb er mit Mitte 20? Hat sein Tod eine Leerstelle hinterlassen im Leben seiner Familie und Freunde in Baltimore, der Stadt des Niedergangs an der Ostküste des krisengeplagten Amerikas? Cody ist der große Abwesende, ein Phantom, das die Fragmente dieses fragilen Films zusammenhält. In den Tagen um seine Beerdigung herum zeigt uns der Regisseur Matt Porterfield die ausgefransten Ränder von Codys Welt. Den Wald am Stadtrand, in dem ein paar Jungs Paintball spielen und eine Mädchen-Gruppe herumstreunert. Der See, an dem gelangweilt-sarkastische Teenager baden und Drogen rauchen. Der Skaterpark, in dem Cody oft abhing mit seinen Kumpels. Wir dürfen einem Tätowierer, oben ohne, bei der Arbeit zusehen. Wir müssen der Beerdigungsfeier in einer Bar beiwohnen, in der die Trauergäste schauriges Karaoke singen. Wir sind aufgefordert, ein verpfuschtes Leben zu rekonstruieren – von einem, den wohl kaum einer vermisst. „Wäre es schlimm, wenn ich nicht weine?“ fragt Codys hinterbliebene Schwester einmal.
Dieser Film macht es einem nicht leicht. Aber wer sagt schon, das Kino müsse immer leicht sein? Matt Porterfield, der vor fünf Jahren mit „Hamilton“ debütiert hat, will in seinem zweiten Film „Putty Hill“ das Leben seiner Figuren nicht in altbekannte Formeln pressen. Es wurde viel improvisiert bei den Dreharbeiten: Die Dialoge konnten sich zwischen den unbekannten Darstellern frei entspinnen. Vieles bleibt vage angedeutet; bis ins Letzte ausbuchstabiert wird nichts. Manchmal liegt ein unbestimmtes Rauschen auf der Tonspur, das die Dialoge schwer verständlich macht. Ein anderes Mal dröhnt der Originalton belastend laut. Mehrmals wechselt die Kamera unvermittelt den Status: aus der Beobachterperspektive zum Aufzeichnungsgerät eines unsichtbaren Interviewers, der hinter der Kamera plötzlich Fragen an die Figuren stellt.
Zudem bleibt der Film oft auf Abstand, präsentiert uns die Figuren nur in Totalen. Beispielhaft zeigt sich das an einer zutiefst aufwühlenden Szene zwischen einem Vater und seiner heulenden Tochter, die sich vernachlässigt fühlt und ihm ihr Unverstandensein wütend entgegenschleudert. Die Distanz der Kamera weckt den Wunsch nach der Großaufnahme. Doch Porterfield wechselt partout nicht ins konventionelle Schuss-Gegenschuss-Verfahren, weil es ihm hier nicht um identifikatorische Nähe und Mitleid geht.
Diese Realismuseffekte lassen den Film mal wie ein Home-Movie, mal wie einen Experimentalfilm, mal wie eine Dokumentation aussehen. Und doch ist „Putty Hill“ zugleich eine fiktionale Erzählung. Porterfield entblättert vor uns Milieu-Skizzen der weißen Unterschicht, die mit dem Begriff „Independent-Film“ nicht richtig getroffen wären. Amerikanisches Indie-Kino: Das klingt heute vor allem nach schrulligen Geschichten über Kauze und andere Außenseiter der Provinz. In nur 12 Drehtagen hat Matt Porterfield hingegen etwas ganz anderes hingelegt: eine faszinierende Spurensuche in einer trostlosen urbanen Welt.