Es gibt geringere Herausforderungen, als ein Werk von Ingmar Berman neu zu verfilmen. Dazu kommt, dass es sich bei diesem Werk um eine Miniserie handelt, die Fernsehgeschichte geschrieben hat, in ihrer schwedischen Heimat zu Sendezeiten die Straßen leerfegte und in den 1970er Jahren mit immenser Wucht auf die Ehen kriselnder Paare prallte. Das Vorhaben ist mit dem Wort ‚Herkulesaufgabe‘ also noch milde umschrieben. Warum tut man sich das an: aus „Szenen einer Ehe“ (1973) „Scenes from a Marriage“ (2021) zu machen?
Die Voraussetzungen sind zunächst mal nicht ungünstig. Für HBO entworfen hat die Serie Hagai Levi, der sich auskennt mit Fernseharbeiten über intime Situationen (In Treatment) und emotionale Verwerfungen von Paaren (The Affair). Statt Liv Ullmann und Erland Josephson agieren nun die beiden amerikanischen Stars Jessica Chastain und Oscar Isaac die Probleme ihrer zerbröckelnden Ehe aus. Und der Stoff ist ideal für die Arbeit unter Pandemie-Bedingungen: wenige Darsteller*innen, wenige Drehorte, wenig logistischer Aufwand. Darin ähnelt Levis Serie den vielen Ein-Personen-Filmen (à la Pedro Almodóvars The Human Voice) oder Zwei-Personen-Stücken (wie Sam Levinsons Malcolm & Marie) der vergangenen Monate.
Für seine Neuauflage hat sich der israelische Regisseur nah ans Original gehalten – so nah, dass die fünf Episoden beinahe identische Titel tragen. Der letzte Drehbuch-Satz, gesprochen von Jessica Chastains Mira, ist eine innige Hommage an Bergman. Dennoch nennt Levi die Serie lieber ein „Remake“ und vergleicht sie mit der Praxis am Theater, wo Meisterwerke auch über Jahre, Jahrzehnte, ja Jahrhunderte neu interpretiert werden.
Anders als Bergmans Original spielt die neue Serie, mit Ausnahme der letzten Folge, ausschließlich in und vor dem Haus von Mira und ihrem Mann Jonathan. Das macht die Atmosphäre noch enger und beklemmender. Und tatsächlich nimmt das Nicht-Atmen-Können buchstäblich (für den Asthmatiker Jonathan) und metaphorisch (für die an der Ehe erstickende Mira) eine zentrale Rolle ein. Abgesehen von einem selbstreflexiven Kunstgriff – jede Episode beginnt und endet auf dem tatsächlichen Set der Serie – ist der entscheidende Unterschied aber ein anderer: Levi dreht den Spieß um und macht die Frau zur Ehebrecherin. Mira, die in der Privatwirtschaft deutlich mehr verdient als der Universitätsphilosoph Jonathan, verliebt sich in einen jüngeren Mann. Sie verlässt deshalb die Familie und lässt Jonathan mitsamt der fünfjährigen Tochter zurück. Darin liegt sicherlich der Wunsch die Frauenfigur selbstbestimmter und den Mann als liebevollen Erzieher moderner erscheinen zu lassen, aber es verschiebt auch die Sympathien zuungunsten der Frau.
Dazu kommt, dass Jessica Chastain ihr Spiel oft bis zum emotionalen Anschlag forciert. Dadurch wirkt die die Serie manchmal gekünstelt, gerade im Vergleich zum Bergmanschen Naturalismus. Dennoch: Levis Neuauflage wird sich nicht einfach versenden—dafür ist sie zu gekonnt gemacht. Und vielleicht liegt das Reizvolle des Vergleichs der beiden Serien ja auch eher darin, was sie über die jeweiligen Medienkonstellationen aussagen, in die sie eingebettet sind. Hier könnte der Unterschied kaum größer sein. Bergman brachte seine Miniserie zu einer Zeit heraus, als das Fernsehen noch Leitmedium war und es in Schweden zwei Kanäle gab. Nur so konnte „Scener ur ett Äktenskap“ die Scheidungsrate seinerzeit signifikant nach oben treiben. Levis „Scenes from a Marriage“ hingegen ist Teil unseres hyperaktiven 24/7-Medienpluriversums. Sich hierin zu behaupten – das ist vielleicht die eigentliche Herkulesaufgabe.