The film worker. A meeting with the actor Richy Müller(2003)

Der Film-Arbeiter
Richy Müller heißt eigentlich Hans-Jürgen Müller. Aber heißen große Schauspieler Hans-Jürgen Müller? Eine Begegnung

Als alles anfing, damals in den 70er Jahren, hieß Richy noch Hans-Jürgen. Er war ein kleiner Mannheimer Werkzeugmacher, der schwitzend in der Werkhalle an den Maschinen stand und irgendwann die Schnauze voll hatte. „Werd’ doch Schauspieler, Mann!“ schlug ein Kumpel vor, schließlich war Hans-Jürgen bekannt für seine große Klappe. Er bewarb sich in Bochum, der nächstbesten Schauspielschule. Die Vorsprechtexte hatte ihm noch schnell jemand empfohlen: Goethe, Grabbe und Max Frisch. Lauter Sachen, die er gar nicht kannte. Doch auf einmal war er drin. Ohne sich je für die Schauspielerei interessiert zu haben. Ohne je auf einer Bühne gestanden zu sein. Nach zwei Jahren war das Ganze allerdings schon wieder vorbei: Er hatte einen Lehrer als Arschloch beschimpft, weil der eine Mitschülerin nieder gemacht hatte. Die große Klappe halt.

Richy Müller sitzt in einem Szene-Café am Prenzlauer Berg. Es nieselt. Trotzdem ist er in schwarzen Badelatschen und einer kurzen, bayerischen Hirschlederhose gekommen, die ungefähr 60 Jahre alt ist. Nun weiß man ja heutzutage nie genau, was gerade in ist. Aber hier in Prenzlauer Berg scheinen speckige Lederhosen völlig okay. Entspannt erzählt Richy Müller von Früher. Wie er 1978 von Bochum nach Berlin gegangen ist und dort wieder großes Glück hatte, weil er ganz unerwartet an die Rolle des „Richy“ im Fernsehfilm „Die große Flatter“ kam. Wie ihn alle plötzlich nur noch mit seinem Rollennamen ansprachen, weil sie dachten, er sei auch im echten Leben so. Und wie er dann einfach den Namen übernahm und so aus dem Metallarbeiter Hans-Jürgen endgültig der Schauspieler Richy wurde. Eine gute Idee: Schließlich tragen große Filmstars nur ganz selten Namen wie Hans-Jürgen Müller. (Im Berliner Telefonbuch gibt es den Eintrag „Müller, Hans-Jürgen“ übrigens genau dreißigmal.)

Ab da sollte es richtig losgehen. Doch statt dessen kam das Loch. Richy Müller begann, rumzuprollen. Er soff und machte Radau mit seinen Schauspielerkumpels Ralf Richter, Claude-Oliver Rudolph und Oliver Strietzel. „Früher haben die Menschen Angst vor mir gehabt“, sagt er. Hinter solchen Sätzen lauert die Ahnung, dass dieser freundliche Mann mit der großen Nase und den Furchen im Gesicht früher einmal härtere Zeiten gekannt haben könnte. Und wenn er plötzlich aufspringt und vor dir eine Rolle imitiert; oder wenn er, gerade noch lässig mit ausgebreiteten Armen dasitzend, nach vorne schnellt und wild vor deinem Gesicht gestikuliert ─ dann kannst du dir ausmalen, dass ihn diese Impulsivität schon mal in eine weniger spielerische Richtung gedrängt haben mag.

Richy Müller machte damals auf harten Lederjacken-Typ. Die Rollen, die er angeboten bekam, waren immer die gleichen: harte Lederjacken-Typen. Gefangen im eigenen Image, eingesperrt in Rollenklischees: Richy Müller kam nicht mehr raus. „Ich war hochfrustriert und traurig“, betont er. Müller flüchtete zum Theater. Dort spielte er für Einar Schleef, Robert Wilson und Hans Neuenfels. Die Bühne bedeutete die Rettung ─ und war doch nur eine andere Form von Gefängnis: „Das Theater hat mein Leben in eine andere Bahn gebracht. Aber es ist gleichzeitig der Psychokrieg schlechthin. Es geht nur um Egos. Eine ganz kleine Welt.“ Auf Dauer zu eng für einen wie Richy Müller.

Vom Lederjacken-Image ist nicht mehr viel übriggeblieben. Außer seiner Vernarrtheit in den Motorsport vielleicht, für den er sogar die Schauspielerei ein Jahr parken würde, könnte er nur mit Sponsorenhilfe eine Rennsaison lang Gas geben. Seit Anfang der 90er Jahre ist Richy Müller zurück beim Film. Er spielt alles: vom Pfarrer („Irren ist männlich“) bis zum Geiselgangster („Ein großes Ding“), vom harten Schuldeneintreiber („Die Apothekerin“) bis zum sensiblen Schnulzen-Autor in seinem neuesten TV-Movie „Tigermännchen sucht Tigerweibchen“, das heute in der ARD zu sehen ist. Bloß nicht mehr zum eigenen Stereotyp verkommen.

Richy Müller gibt selten Interviews. Vielleicht kommt das noch aus der Zeit, in der er sich bei Journalisten ein paar mal verplappert hat und dann oft abends mit dem Artikel auf dem Bett saß und heulte wie ein kleines Kind. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Richy Müller in der Manege des Prominentenzirkus ungern den Tanzbären spielt. Anstatt sich auf der Verleihung des Deutschen Filmpreises herumzutreiben, wo immerhin Christian Petzolds „Die innere Sicherheit“ mit Richy Müller in der Hauptrolle ausgezeichnet werden sollte, ist er vorletztes Jahr lieber zum Formel-1-Rennen am Nürburgring gefahren. Der einzige Freund, den er in der Filmbranche hat, ist Jürgen Vogel. Glamour? „Uninteressant.“ Prominenz? „Nicht wichtig.“ Rampenlicht? Ist ihm zu grell. „In der Öffentlichkeit Schecks zu übergeben oder bei Galas aufzutauchen, finde ich superpeinlich“, sagt er und wie er da mit seiner ausgebeulten Lederhose sitzt und Müsli mit Joghurt isst, möchte man gar nicht dran denken, ihm diese Meinung auszureden.

Richy Müller sagt gerne Sätze wie: „Ich rede nicht über meine Arbeit ─ ich mache sie.“ Oder: „Zukunftsträume? Das passt mit meiner Lebensphilosophie nicht zusammen.“ Manchmal klingt das, als spräche da ein unterer Sachbearbeiter beim Einwohnermeldeamt und nicht ein gefragter Film- und Fernsehdarsteller. Aber vielleicht sollte man Richy Müller einfach als einen Profi beschreiben, der seinen Job erledigt und das mehr als ordentlich. Und als einen, der auf der Rennstrecke Vollgas gibt, aber im Leben seit seiner wilden Zeit einen Gang runtergeschaltet hat. Seit einiger Zeit denkt der Badener darüber nach, in ein Landhaus im Chiemgau zu ziehen, drunten in Bayern. Nach 25 Jahren Berlin raus in die Natur. „Ich bin auf dem Weg, ganz ruhig zu werden“, sagt er.

Dabei hatte er im vergangenen Jahr gerade seinen ersten Actionauftritt in einem Hollywood-Kracher: „xXx“ mit Vin Diesel und Samuel L. Jackson. Der Film hat alleine in den USA mehr als 140 Millionen Dollar eingespielt. Der Regisseur Rob Cohen („The Fast and the Furious“) habe ihm damals geraten, ganz nach Hollywood zu wechseln, erzählt Müller. Vom Werkzeugmacher zum Hollywoodstar? Richy Müller winkt ab: „Ich habe dort nur meine Arbeit gemacht.“

 

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *