Ulrich Seidl (Oktober 2007)

Herr Seidl, beim Titel „Import Export“ denkt man sofort an Waren. Dabei geht es bei Ihnen doch um Menschen.

Der Titel trifft auf den Film inhaltlich ganz gut zu.

Der Mensch als globalisierte Ware?

Genau.

Das österreichische Kino hat in den letzten Jahren – viel stärker als das deutsche – einen Blick für die Schattenseiten der Globalisierung entwickelt. Warum?

Das waren hauptsächlich Dokumentarfilme, „Workingman’s Death“ oder „We Feed the World“.

Nun bewegen Sie sich selbst aber auch seit jeher an der Grenze zum von dokumentarischem und fiktionalem Film. Was ist das ästhetische Prinzip von „Import Export“?

Ich erzähle nicht mit konventionellen Mitteln. Die Besetzung besteht aus Schauspielern wie Nicht-Schauspielern. Ich habe ein quasi-offenes Drehbuch, bei der eine Grundkonstellation steht. Ich lasse mich dann aber auch darauf ein, den Film im Prozess des Entstehens weiterzuentwickeln und viele Dinge nicht zu machen, die einmal gedacht worden sind.

Natürlich sieht mein Film ästhetisch auch anders aus, weil es mir sehr wichtig ist, filmisch zu arbeiten, also mit Bildern zu erzählen. Ich versuche, jedem Film eine stilistische Einheit zu geben: zu reduzieren auf bestimmte Bilder und Farben und nicht einfach eine bunte Welt abzubilden. Das finde ich genau den falschen Weg.

Dabei haben Sie erstmals mit dem amerikanischen Kameramann Ed Lachmann zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?

Ed Lachmann ist auf meine Arbeit aufmerksam gemacht worden und hat sich dann Filme von mir gesehen. Wir haben uns getroffen und er war sehr neugierig, wie ich mit den geringen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, meine Filme gemacht habe − ganz anders als er es in Hollywood gewohnt ist. Ich habe ihm angeboten, bei mir Kamera zu machen und er hat sofort „Ja“ gesagt. Er nennt sich selbst ja einen „filmischen Zigeuner.“ Das heißt: er hat mit sehr vielen, unterschiedlichsten Regisseuren gearbeitet. Diese Erfahrung wollte ich nicht missen.

In „Import Export“ wenden Sie sich einem anderen sozialen Milieu zu als in vorangegangenen Filmen: nicht mehr das (klein-)bürgerliche Spießertum sondern die prekäre Unterschicht steht im Mittelpunkt.

Das war keine bewusste Entscheidung.

Mit der Figur der Olga gibt es vielleicht erstmals eine Figur bei Ihnen, mit der man Sympathie empfindet. Einen Mangel an Mitleid und Nähe zu den Menschen hat man Ihnen oft vorgeworfen.

Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben. Die Filme würden gar nicht bestehen können, wenn es keine Identifikationsmöglichkeiten für das Publikum gäbe. Man kann sich mit den „Models“ genauso identifizieren wie mit den Leuten in „Tierische Liebe“ − wenn man sich darauf einlässt. Wenn man drüber steht, geht es natürlich nicht. Es ist ein Problem des Betrachters, wenn er das, was er hier sieht, abstoßend findet. Außerdem kann keine Filme machen über Leute, die einem unsympathisch sind.

Der klassische Hollywood-Film würde den Zuschauer jedenfalls anders zu Empathie und Sympathie einladen, als Sie es bislang getan haben − Einfühlungskino war bisher nicht Ihre Domäne. Jetzt spricht die Kritik von Ihrem bisher „zärtlichsten Film“.

Das war keine Absicht (lacht). Das Einzige, was ich als Unterschied gelten lassen würde, ist, dass ich in „Import Export“ über Spielfilmlänge eine Geschichte erzähle. Es ist einfach mehr Zeit da. Olga macht es dem Zuschauer außerdem einfacher, weil sie abhängig ist von vielen äußeren Umständen. Deshalb schließt man sie mehr ins Herz.

Sie haben betont, dass die Dreharbeiten für Sie ein „Kampf“ und „Abenteuer“ waren. Was bedeutet das?

Abenteuer heißt, dass man sich auf etwas einlässt, von dem man nicht mehr zurück kann; dass man ein Ziel im Auge hat, aber nicht weiß, wie man dort hinkommt; dass man einen bestimmten Weg beschreitet und sich dann korrigieren muss, weil man sieht, dass der Weg nicht der richtige ist. Auf diesem Weg gibt es oft Umstände, die das Filmemachen erschweren: ob das jetzt auf der einen Seite minus 30 Grad Kälte im Schnee in der Ukraine sind, wo man lange Wege in der Früh im Dunkeln bis zum ersten Drehort machen muss; oder auf der anderen Seite das Drehen in einer Geriatrie, wo man emotional angegriffen ist, weil man das nicht so leicht aushält.

Vielen Zuschauern geht es ähnlich.

Ja, man sieht das nicht gerne. Deswegen macht es sich die Gesellschaft ganz leicht, indem sie dort gar nicht erst hinschaut. Der Tod und das Sterben werden in unserer Gesellschaft tabuisiert, obwohl − und das ist das Groteske und Absurde − die Gesellschaft immer mehr veraltet. Alter ist nur dann angenehm, wenn es „junges“ Alter ist. Man muss auch im Alter jung sein.

Wie sind Sie beim Dreh in der Geriatrie vorgegangen? Hatten Sie das Einverständnis der Patienten?

Das sowieso. Ich hätte dort gar nicht drehen dürfen, wenn ich nicht alle Einverständnisse gehabt hätte. Ich habe diesen Dreh sehr lange vorbereitet, indem ich dort alle Menschen, die dort gelegen haben, mit ihren Geschichten und Lebensläufen kennengelernt habe. Manche wussten natürlich, dass es hier um einen Film geht; viele wussten es nicht. Das ist aber nicht die Frage − die Frage ist immer „Wie macht man es?“ Wenn man die Leute in ihrer Würde belässt, dann finde ich das richtig und notwendig.

Man könnte einwenden, dass die Würde eines Menschen dann verletzt wird, wenn man, wie Sie in manchen Momenten, mit der Kamera in seine intimste Sphäre vordringt.

Wer zieht die Grenze? Wer sagt, was man darf und was nicht?

Der Zuschauer, der mitempfindet und diese radikale Nähe möglicherweise aufgrund eines verinnerlichten gesellschaftlichen Konsenses ablehnt.

Ich glaube, diesen gesellschaftlichen Konsens kann es nicht geben. Genauso wie man als Mensch ohne Kamera Verantwortung hat, wie man mit jemanden anderen umgeht, liegt es in meiner Verantwortung als Regisseur, was ich zeige.

Es gibt in Ihrem Film auch sehr explizite Sexszenen. Bedienen Sie dabei nicht − wie die Pornographie − den Voyeurismus des männlichen Zuschauers, den Sie eigentlich entlarven wollen?

Beides passiert: Auf der einen Seite wird der Zuschauer selber verführt, Voyeur zu sein. Auf der anderen Seite wird der Mechanismus im selben Moment demaskiert.

Dennoch bleibt es dabei: Sie machen weibliche Darstellerinnen, die sich im Film für Internetpornographie penetrieren oder nackt als Prostituierte degradiert werden, zum Objekt des Zuschauerblickes.

Die andere Möglichkeit wäre, das zu tabuisieren und nicht zu zeigen. Dieses Denken − weil man etwas nicht haben möchte, verschweigt man es − ist grundlegend falsch. Wenn man Kritik an etwas übt, muss man es zeigen.

Als Alternative blieb immer noch, die Dinge anzudeuten, sie aber nicht voll ins Bild zu rücken.

Man könnte vieles − aber ich bin nicht für Zwischenwege. Es gibt die Schönheit im Schrecken und den Schrecken der Schönheit. Ich mache schöne, schreckliche Bilder − Bilder, die haften bleiben, die man nicht so schnell vergisst.

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