„Bloody Sunday“ von Paul Greengrass (2002)
Wie Gewitterfronten treiben die Kontrahenten aufeinander. Gnadenlos und unaufhaltsam. Von Anfang an liegt die Drohung der eskalierenden Donnerschlags über diesem Film. Und wenn es dann soweit ist, folgt kein reinigendes Gewitter sondern ein besudelnder Niederschlag aus Blut, Schweiß und Tränen. Wir schreiben Sonntag, den 30. Januar 1972. Ein Tag, der in die Geschichte des Nordirland-Konflikts als „Bloody Sunday“ eingehen wird mit 13 Toten und 14 Verletzten. In den Straßen von Derry prallen friedlicher katholischer Bürgerrechtsprotest, Jugendrebellion und britische Staatsmacht aufeinander: „We Shall Overcome“ trifft auf militärisches Marschgetrommel. Der Film rekonstruiert diesen Tag und schneidet dabei in hohem Tempo zwischen den Gruppen hin und her. Zeit zum Verschnaufen bleibt wenig. Bald schon schaukelt sich der Konflikt zum Straßenkampf hoch. Und Nordirland wird zu Steven Spielbergs Omaha Beach: der innerstädtische Krieg wirkt dokumentarisch echt.
Doch man darf sich nicht täuschen lassen: Wie in allen anderen Kunstformen entsteht auch im Kino Realismus nicht durch simples Nacherzählen der „Realität“. Was dem Zuschauer wirklichkeitsnah erscheint, beruht immer auf dem kalkulierten Effekt genau gewählter filmischer Mittel. Und der englische Regisseur Paul Greengrass beherrscht diese Mittel augenscheinlich virtuos ― so virtuos, dass ihm die Jury der Berlinale 2002 gemeinsam mit Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“) den Goldenen Bären verlieh. Bei Greengrass laufen Personen durchs Bild. Die Tonverhältnisse wirken oft ungenügend. Die Farben sind weitestgehend aus den Bildern herausgesaugt. Und die Handkamera bleibt wackelnd den Figuren auf der Spur und blickt ihnen dabei buchstäblich über die Schulter. Manchmal lässt Greengrass seinen Kameramann Ivan Strasburg durch Türrahmen filmen, als würde er die nebenan stattfindenden Gespräche belauschen. Manchmal müssen unscharfe Einstellungen nachfokussiert werden, als käme der Kameramann den Ereignissen nicht hinterher. Beinahe erliegt man dem Eindruck, einer Live-Reportage beizuwohnen: the revolution will now be televised.
Angetrieben wird der Film durch den Furor über die Ungerechtigkeit vor 32 Jahren. Greengrass schlägt sich auf die Seite der Opfer im Kampf um die Wahrheit des 30. Januar 1972. Ob seine Darstellung die richtige ist ― wer weiß. Aber es wird nicht wenige geben, denen Greengrass’ bestechende Dokumentar-Effekte die Zornesröte ins Gesicht treiben. Egal auf welcher Seite man steht.