„Cinderella Man“ von Ron Howard (2005)
13. Juni 1935, Long Island City, New York: Im Ring lauern zwei ungleiche Boxer. In der einen Ecke: Jim Braddock (Russell Crowe), den sie Cinderella Man nennen, weil er sich aus der tiefsten Armut der Depressionszeit wieder nach oben gekämpft hat. Auf der anderen Seite: Max Baer (Craig Bierko), ein animalischer Hüne mit Glamourfaktor, gegen den selbst Ivan Drago, die sowjetische Kampfmaschine aus „Rocky IV“, wie ein tierlieber Yogitee-Trinker wirkt. Braddock gilt als krasser Außenseiter. Die Reporter formulieren ihre Texte vorab. Die Halle tobt im Angesicht des Spektakels. Derweil verfolgt Braddocks Familie den Kampf zu Hause in New Jersey. Atemlos und ängstlich kauern sie um das Radiogerät, schließlich hat der wilde Tanz-Baer schon zwei Kämpfer im Ring erschlagen.
Auf diesen Höhepunkt steuert der Film zwei Stunden lang zu und pendelt dann zwischen den beiden Schauplätzen hin und her. In dieser Parallelmontage – vom Boxkampf zur Familie und zurück – zeigt sich im Kleinen die Strategie des Films im Großen. Regisseur Ron Howard („Apollo13“) schnürt zwei Genres zusammen, mit denen er ein größtmögliches Publikum zu emotionalisieren hofft: einerseits den Sportfilm, das Melodram des harten Mannes, in dem selbst Alpha-Tierchen und postmoderne Ironiker ihre Tränen nicht zu verkneifen brauchen (man erinnere sich an Gerhard Schröders Reaktion auf „Das Wunder von Bern“); andererseits das Familienmelodram, dem traditionellen weepie der weiblichen Zuschauer. Dazu mischt sich, wie so oft bei Ron Howard, ein Hang zur Nostalgie, die dem Film weitere Gefühlsstimulanzien injiziert. Howards Vergangenheitssehnsucht bezieht sich dieses Mal auf die Filme des Hollywoodkinos der 30er und 40er Jahre. Vor allem aber gilt sie einer Zeit, in der die amerikanischen Werte noch selbstbewusst wie ein Weltmeistergürtel in die Höhe gereckt wurden.
Letzteres praktiziert Howard dann auf eine Art, die man wegen ihrer verwegenen Gutherzigkeit beinahe bewundern könnte, wäre das ideologische Antlitz des Films nur einen Hauch verschleierter. Das ist nicht der Fall. Howards Jim Braddock ist ein aufrechter Mann, der selbst in dunkelsten Momenten den Glauben an sein Land nicht verliert. Weder die Große Depression, die ihn seines Wohlstandes beraubt und seine Familie hungern lässt, noch die gnadenlosen Kapitalisten, die ihn als Dockarbeiter ausbeuten, können ihn erschüttern. Wenn der hungernde Sohn eine Salami klaut, geht der Vater mit ihm zum Metzger zurück. Wenn Braddock sich Geld vom Sozialamt leihen muss, trägt er die Schulden honorig wieder ab. Und als hätte jemand nur einen Moment daran gezweifelt, informiert uns der Abspann, dass Braddock später ehrenhaft im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat. Braddocks Biographie wird in dieser „wahren Geschichte“ ausgeschlachtet für Werte wie harte Arbeit, Familie, Patriotismus und der zweiten Chance, die sich demjenigen bietet, der standhaft den American Dream träumt. Man muss schon zu James Stewart oder Gary Cooper in ihren Frank-Capra-Filmen zurückgehen, um einen noch anständigeren Helden zu finden.
Russell Crowe bringt die Rolle aufrechten Hauptes hinter sich. Seine überbordende Physis reicht aus, um ihn als Boxer glaubwürdig erscheinen zu lassen. Darüber hinaus ist es angesichts seiner außerfilmischen Exzesse erstaunlich, dass man ihm auch die leisen Seiten von Braddock abnimmt, der wie schon sein „Gladiator“ an dem leidet, was man als „E.T.“-Syndrom bezeichnen könnte: das stille Sehnen nach dem Zuhause. Was Braddock dort will, ist freilich nur halbwegs nachvollziehbar. Denn seine Ehefrau Mae ist ein dauerbesorgtes Hascherl. Die oft erstaunliche Renée Zellweger hat dabei die wenig beneidenswerte Aufgabe, durchgehend mit tränenerstickter Stimme zu agieren. Ästhetisch gewinnt der Film weder dem Familienmelodram noch dem Boxfilm Neuland hinzu. So ist letztlich das überraschendste an dieser Hollywood-Prestigeproduktion, dass sie so wenige Überraschungen zu bieten hat.