„Polisse/Poliezei“ (2011) von Maiwenn
Wenn sich die Polizisten der Pariser Jugendschutz-Einheit zum Verhör aufmachen, sollten sie sich besser warm anziehen. Denn der Wind, der ihnen dort entgegenschlägt, kann schmerzvoll sein, eisig und hart. Da erzählt ein Kind detailreich vom Missbrauch der Eltern. Ein pädophiler Macho suhlt sich arrogant in der eigenen Widerlichkeit. Und eine Mutter berichtet ganz selbstverständlich darüber, wie sie jeden Abend ihren Jungen befriedigt. Dabei erreichen die Sätze einen peinvollen Grad der Suggestion. Doch diese provokative Freiheit nimmt sich die junge Regisseurin Maiwenn: In ihrem Film „Poliezei“ hört sie schonungslos hin – auch wenn dabei im Kopf des Zuschauers Vorstellungsbilder wachgerufen werden, die er dort gar nicht haben will. Und was ist mit jenen Einstellungen, in denen sich die Polizisten lustig machen über die jugendlichen Opfer und sich aus Selbstschutz oder aufgezehrtem Einfühlungsvermögen kaputtlachen über deren Schicksal? Keine Frage, die Regisseurin wandelt mutig auf einem schmalen Grat.
Die Jugendschutz-Einheit der Pariser Polizei: Das bedeutet bei Maiwenn blankliegende Nerven, Bürokratie-Schikanen, schlechte Ausstattung und einen niederen Rang in der Polizei-Hierarchie. Das bedeutet Machosprüche, Zickenterror, Mobbing und ein zerrüttetes Familienleben. Aber es bedeutet auch Verschworenheit, Gemeinschaftsgefühle und ein heftiges Schwanken zwischen Zynismus und warmer Empathie für die Jugendlichen. Mit agiler Handkamera gefilmt springt „Poliezei“, die orthographische Schlamperei spielt auf kindliche Rechtschreibfehler an, von einer hochemotionalen Episode zur nächsten: die nervenaufreibende Razzia in einem Wohnwagenlager rumänischer Migranten; die wilde Suche nach einer drogensüchtigen Mutter, die ihr Baby aus der Krippe entführt hat; die herzzerreißende Trennung eines afrikanischen Jungen von seiner obdachlosen Mutter. Dazwischen: Mittagsszenen in der Kantine, gemeinsames Feiern in der Disco, Posieren am Schießstand, Flirten und Sex.
Man kennt vieles davon aus anderen Filmen – und doch wirkt „Poliezei“ ungewöhnlich und alles andere als abgenützt. Denn der dritte Spielfilm der 35-jährigen Regisseurin greift zwar auf Bauteile des Thrillers und Polizeifilms zurück. Doch Maiwenn interessiert sich mehr für psychologische Gefechte als körperliche Action, mehr für die zwischenmenschlichen Zusammenstöße als die Karambolagen beschleunigter Vehikel. Beim Festival in Cannes, wo der Film im Mai den Preis der Jury gewann, waren dennoch nicht alle Kritiker begeistert. Manche Rezensenten beklagten die emotionale Hochtourigkeit des Films. Und tatsächlich bewegt sich die Drehzahl des Films manchmal im roten Bereich. In diesen Szenen wirkt das Drehbuch zu stark auf Effekt getrimmt.
Doch an anderen Stellen entwickelt der Film eine ungeahnte Wucht – was nicht zuletzt an seinen hervorragenden Darstellern liegt, denen Maiwenn viel Raum für waghalsige Ausbrüche lässt. Vor allem der Rapper JoeyStarr verleiht der Figur des aufbrausenden und verletzlichen Polizisten Fred eine enorme Präsenz. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang ein ironisches Detail: JoeyStarr wurde mit seiner Gruppe „NTM“ einst bekannt für Texte mit harscher Kritik – an der französischen Polizei.