Hanif Kureishi (September 2003)

Mr. Kureishi, wann haben Sie sich das letzte Mal die Haare gefärbt?

Habe ich noch nie und werde ich auch nie. Sehen Sie sich meine Haare an.

Sie sind grau geworden, im Vergleich zur dunklen Mähne, die Sie früher trugen. Fragen wir anders: Gehen Sie ins Fitnessstudio?

Nein.

Aber vermutlich verbringen Sie mehr Zeit vor dem Badezimmerspiegel als vor zwanzig Jahren?

Nein, viel weniger! Wenn ich sehe, wie sich meine Kinder die Haare zurecht machen und ständig die Kleidung wechseln, erinnert mich das daran, wie ich selbst als Teenager war. Heutzutage schere ich mich einen Dreck darum, wie mich andere Leute sehen.

Nimmt die Eitelkeit ab mit dem Alter?

Der Narzissmus des Menschen ist nicht ausschließlich an sein Erscheinungsbild gebunden. Ich bin sehr eitel ― ob es mein Schreiben, die Filme oder meine Familie betrifft. Aber nicht in der Frage, ob meine Haare dunkel sind oder nicht.

Gibt es einen Punkt in Ihrem Leben, an dem Sie gemerkt haben: Verdammt, ich werde alt?

Das passiert schrittweise. Du siehst es beispielsweise an deinen Kindern: Irgendwann merkst du, dass sie viel mehr Energie haben als du. Wenn ich meinen Videorecorder oder DVD-Player nicht in Gang bekomme, bitte ich meine Kids. Wenn ich wissen will, was im Popgeschäft los ist, frage ich sie. Dann erzählen sie mir, ich solle mir den und den anhören ― Leuten, von denen ich noch nie gehört habe. Daran merke ich, dass ich mich langsam in Richtung Vergangenheit bewege: die Dinge, die mir gefallen, stammen aus einer Zeit, die lange vorbei ist. Ich bin nicht mehr jung und hip.

Nächstes Jahr werden Sie 50.

Mir wurde irgendwann klar, dass die wichtigen Entscheidungen meines Lebens getroffen sind: welchen Beruf ich ergreife, wo ich lebe, wen ich heirate… Deshalb wird die zweite Lebenshälfte anders verlaufen. Diese alltägliche Wahrheit führte mich zur Einsicht, dass ältere Menschen eine andere Position in der Gesellschaft einnehmen; dass sie ihren Platz verlieren; dass sie nicht mehr unbedingt gewollt sind. Meine Großmutter lebte sehr lange alleine in einer kleinen Wohnung und tat überwiegend nichts. Sie schaute fern, las Krimis, aß, schlief ― als wäre sie im Gefängnis. Indem ich über diese Dinge nachdachte, kamen ein Film und ein Buch heraus.

Mit dem Roman „In fremder Haut“ (Kindler-Verlag) und dem Drehbuch zum Film „Die Mutter“, der am 9. Oktober in unseren Kinos anläuft, kommen beinahe zeitgleich zwei Geschichten heraus, in deren Mittelpunkt Menschen über 60 stehen. Da Ihre Texte meist sehr autobiographisch geprägt sind, kann man hier Hanif Kureishis persönliche Ängste vor dem Älterwerden vermuten?

Picasso hat einmal gesagt: „Mein Werk ist ein Tagebuch.“ Man fängt an, sich für Dinge zu interessieren, weil sie einem selbst passieren Wenn du krank bist, beschäftigst du dich mit Krankheiten. Als Susan Sontag ihr Buch „Krankheit als Metapher“ schrieb, hatte sie Krebs. Und natürlich greift man auch auf die Erfahrungen der Menschen um einen herum zurück. Vor allem die der Eltern. In diesem Fall war es tatsächlich so, dass mein Vater sehr krank war. Sein Körper brach richtiggehend zusammen ― dabei ist er früher Boxer gewesen und so fit, wie ich es nie war.

Nun also gleich zwei Geschichten zum Thema „Älterwerden“.

Wenn ich über ein Thema nachdenke, kommt normalerweise ein Drehbuch und ein Roman heraus. Als ich über den Islam nachdachte, schrieb ich „Das schwarze Album“ und das Drehbuch zu „My Son, the Fanatic“. Davor beschäftigte ich mich mit Immigration. Das Ergebnis war „Der Buddha aus der Vorstadt“ und „Mein wunderbarer Waschsalon“. Die Geschichten entstehen bei mir immer paarweise.

Ihr Roman „In fremder Haut“ erzählt die Geschichte eines älteren Mannes, der sein Gehirn durch eine neuartige Operationsmethode aus seinem gebrechlichen Körper in den eines „italienischen Fußballspielers“ mit dem Gesicht des „jungen Alain Delon“ verpflanzen lässt.

Er denkt, dass die Leute ihn mögen und begehren werden, wenn er schön ist. Aber die Ironie des Buches ist es, dass sein Leben dadurch natürlich nicht besser wird. Er wird zu einer Art Popstar. Doch als Popstar geht dir nach einiger Zeit auf, dass die Fans nur nervig sind. Sie werden handgreiflich, obwohl du gar keine Beziehung zu ihnen hast.

Am Ende des Romans wird der Protagonist sogar von Killern gejagt, die es auf die Schönheit seines Körpers abgesehen haben. Ein Sinnbild für unsere Obsession mit Schönheit?

Absolut. Sie jagen nicht ihn, sondern seinen Körper, sein Gesicht, seine Haut, seine Knochen. Wie bei einem Popstar oder einem Filmschauspieler wissen sie gar nicht, wie diese Person tatsächlich ist. Sie wollen ja gar nicht den Kerl, der in dem Körper steckt.

Eines der wenigen Güter, die wir in unserer beinahe perfekten Konsumgesellschaft nicht kaufen können, ist Jugend und Schönheit. Dennoch versuchen wir es verzweifelt ― von Kosmetikprodukten bis hin zu Schönheitsoperationen.

Es ist komisch, nicht wahr, wir wollen Jugend kaufen, aber ohne Unerfahrenheit. Wir wollen uns das Aussehen von jungen Leuten aneignen, aber nicht wie ein 15jähriger Dummkopf sein, der kein Sozialverhalten hat, ungeschickt ist, sein Schlafzimmer nicht verlässt und nicht in der Lage ist, Mädchen anzusprechen.

Ihr Protagonist Leo denkt genauso.

Ja, aber er will gleichzeitig auch seinem eigenen Körper entkommen. Eines der Dinge, die man beim Älterwerden herausfindet, ist, dass dir dein Körper zusehends auf den Wecker geht. Du wachst auf und denkst: Mein Gott, funktionieren heute noch alle Teile? Dein Rücken schmerzt, du kriegst die Augen kaum auf. Und du denkst: Scheiße, hätte ich nur einen neuen Körper. Deshalb ist die Geschichte nicht nur eine Phantasie über das Jungsein, sondern auch darüber, wie es ist, dem Verfall des eigenen Körpers zu entkommen.

Ihre Hauptfigur nennt diese Flucht „Körperurlaub”. Ferien nicht am Strand in der Türkei, sondern in einem fremden Körper ― das klingt nach einem profitablen Tourismuszweig.

Ich bin mir sicher, dass es langfristig etwas in der Art geben wird. Aber dabei wird es zu einem neuen Elitismus kommen. Es wird Leute geben, die sich neue Körper zulegen können wie einen neuen Mercedes. Und andere, ganz klar, werden sich das nicht leisten können. Wir haben diesen Fall ja schon so ähnlich in der Ausbeutung der Dritten Welt durch die Industrienationen: Wenn du ein neues Körperteil, eine Leber oder Niere, brauchst, besorgst du dir einen Mann aus der Dritten Welt, lässt seine Niere herausnehmen, steckst sie in deinen Körper und verschwindest.

Dabei spielt auch die Frage nach der Identität mit hinein: Wer bin ich überhaupt? Mein Körper? Mein Geist? Flexibilität und das Wechseln von Identitäten gelten heute als Tugenden. Das Buch liest sich wie eine Parodie darauf.

Wir kaufen uns heutzutage unsere Identitäten. Das wurde mir bereits als Jugendlicher klar. Eines Tages habe ich mir die Haare wachsen lassen und ein gelbes T-Shirt gekauft ― und wurde so zum Hippie. Ich schloss mich einer anderen Gruppe an, was großartig für mich war. Ich hatte damals das Etikett „Inder“ am Hals, doch als ich Hippie wurde, war ich plötzlich cool. Ich hatte meine alte Identität umgewandelt. Doch wenn ich meine Kleidung wechsle und damit meine Identität damit verschwindet ― woran kann ich dann noch erkennen, was tatsächlich ich bin?

Für eine der Figuren des Romans bedeutet der neue Körper einfach eine zweite Chance, um aus seinem Leben noch einmal etwas ganz anderes zu machen. Hatten Sie selbst schon Mal diesen Wunsch nach dem richtigen Leben im falschen?

Oh ja, ständig. Diese Vorstellungen hegt doch jeder. Manchmal wird dieser Traum aber von wirklichem Bedauern begleitet. Mein Vater war Staatsbeamter, wollte aber eigentlich Schriftsteller werden. Er hat sein ganzes Leben mit dieser Alternative verbracht. Er war jemand, der immer ein anderes Leben wollte.

„Du bist am Ende ― was du bist“, sagt Mephisto im „Faust“. Am Ende will die Hauptfigur wieder in den alten Körper zurücktransplantiert werden.

Es ist ein eher konservativer Wunsch von ihm zurückzukehren. Aber so weiterzuleben, wäre die Hölle. Unendliches Leben ist unerträglich. Das Leben hätte keine Bedeutung.

Gibt es Momente, wo Sie beim Älterwerden die jüngere Generation nicht mehr verstehen?

Die jungen Leute entwickelt sich viel schneller, als wir es taten. Ich war vierzehn, fünfzehn, als mir mein Äußeres wichtig wurde. Zwei meiner Kinder sind zehn; sie sind sich schon sehr stark ihrer Körper bewusst. Sie machen Liegestützen und achten darauf, wie andere Leute sie sehen. Das hat auch damit zu tun, dass die kapitalistische Energie heute sehr stark auf Kinder gerichtet ist. Unsere Gesellschaft versucht sie kommerziell zu verwerten, ständig werden ihnen Dinge verkauft. Wohin wir auch gehen, meine Kinder wollen andauernd irgendetwas kaufen. Insbesondere die Popmusik richtet sich an Kids, die sechs, sieben oder acht Jahre alt, also noch nicht mal Teenager.

Man fragt sich manchmal, wie Kinder in diesem Alter es verarbeiten, wenn sie die hocherotischen Videos von Christina Aguilera oder Britney Spears angucken.

Die beiden sehen doch selbst aus wie Kinder. Wir leben in einer Kultur, die Pädophilie hasst und gleichzeitig besessen ist von den Körpern junger Menschen. Unsere Kinder werden heute viel früher sexualisiert. Mein Sohn ― er ist zehn ― kam neulich zu mir und sagte: „Papa, ich bin immer noch Jungfrau.” Ich war schockiert. Mir wäre nie eingefallen, dass er es nicht mehr hätte sein können.

Wie reagieren Sie darauf?

Indem ich meinen Kindern ein Gefühl von Reife gebe, ihnen erkläre, was Sexualität ist und wie sie funktioniert. Es ist meine Aufgabe, sie vor Erfahrungen zu schützen, die sie überfordern. Das ist wie beim Alkohol. Man würde seinem zehnjährigen Kind auch keinen Whiskey einschenken; aber vielleicht mit 14 oder 15 führt man ihn an die Erwachsenenwelt heran.

Sie wirken wie ein sehr fürsorglicher Vater.

Es geht um meine Kinder. Natürlich bin ich sehr an ihnen interessiert.

Wie schon in ihrem letzten Roman „Gabriels Gabe“ spielt das Thema Familie auch in „Die Mutter“ eine wichtige Rolle. Sind sie ein Familienmensch?

Ich habe drei Kinder. Und ich interessiere mich für Familien, weil wir alle in Familien leben. Für uns alle beginnt es im Körper der Mutter. Und selbst wenn du vor ihnen davon läufst ― deine Eltern bleiben dir. Diesen Bindungen kannst du nicht entkommen. Außerdem ist es heute wieder sehr verbreitet über Familien zu schreiben, Jonathan Franzens „Die Korrekturen“ ist nur ein Beispiel.

Hat das Älterwerden auch eine politische Komponente ― nach dem Motto: Wer mit 16 kein Sozialist ist, hat kein Herz; wer mit 32 immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand?

Ich glaube, je älter ich werde, desto radikaler werde ich. Meine Verachtung gegenüber Macht wächst.

Wenn Sie früher ein Nachfolger der „angry young men“ waren, was sind Sie dann jetzt, wo sich Ihre Radikalität noch gesteigert hat?

Radikalität und Wut sind nicht das Gleiche. Man kann radikal sein, ohne zornig zu sein. Ich war damals vermutlich zornig aufgrund meines mentalen Zustandes als 25jähriger. Außerdem war damals die Zeit des Punk, es waren die siebziger Jahre. So wie sie ist, mag ich die Welt nicht, aber ich gerate deshalb nicht in Rage.

Ihr Themenfokus hat sich dabei verschoben: politische Themen wie Rassismus, die Rechte der Schwulen, die multikulturelle Gesellschaft, Faschismus in Großbritannien etc. sind verschwunden. Warum?

Weil ich etwas neues gebraucht habe, um darüber zu schreiben. Ich bin gelangweilt von dem Zeug, an dem ich mit 25 interessiert war. Statt dessen habe ich neue Themen entdeckt wie das Älterwerden, den Körper, die Identität, den Platz älterer Menschen in der Gesellschaft.

Darum geht es in Ihrem Drehbuch zum Film „Die Mutter“. Eine Witwe, unerwünscht bei ihren erwachsenen Kindern, verliebt sich in den Liebhaber ihrer Tochter.

Mir ging es darum, zu zeigen, dass das Verlangen älterer Frauen nicht tot ist. Die Mutter weigert sich, die Position der alten Frau anzunehmen, die still in der Ecke vor sich hinstrickt. Aber ihre Leidenschaft bedroht die ganze Struktur der Familie.

Sie haben vorher gesagt, der Roman sei von der Krankheit Ihres Vaters inspiriert. Wie sieht es mit dem Einfluss Ihrer Mutter auf „Die Mutter” aus?

Ich saß damals mit meiner Mutter in einem indischen Restaurant. Als irgendwann der indische Kellner vorbeikam, sagte meine Mutter zu ihm: „Sie haben aber reizende Hände.“ Woraufhin ich sagte: „Das war aber ganz schön frivol, Mutter.“ Aber ich sah, dass sie lebte. Es gab ein Leuchten in ihren Augen. Sie mochte diesen Mann. Sie hatte vergessen, dass sie 75 war. Plötzlich sah ich sie als junge Frau vor mir. Und so begann ich mit der Geschichte. Meine Mutter wäre entsetzt, wenn sie den Film sähe.

Bei einer Preview konnte man die Verlegenheit des Publikums förmlich greifen, als es zu den Szenen kommt, in denen die Mutter Sex mit dem jungen Mann hat.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens denken wir bei der Mutter an unsere eigenen Mütter, und es ist sehr verstörend, sich die eigene Mutter beim Sex vorzustellen. Zweitens leben wir in einer sehr sexualisierten Gesellschaft ― aber erotisch dargestellt wird nur eine kleine Gruppe. Die Sexualität des Rests wird als abstoßend und hässlich empfunden. Ich bin mir sicher, dass Madonna ihren Körper nicht mehr nackt zeigen würde. Es wäre ihr peinlich. Drittens hat die Verlegenheit auch damit zu tun, dass wir unsere eigene Sexualität aufregend und abstoßend zugleich finden. Es ist eine Form der Scham. Unseren Horror vor der Sexualität verschieben wir deshalb auf andere: auf ältere Menschen, Behinderte oder Schwarze. Wenn du in den 50er Jahren in Hollywood einen Film über einen schwarzen Mann gedreht hättest, der mit einer weißen Frau schläft ― oh Gott! Aber ich weiß, dass der Film funktioniert, wenn die Leute peinlich berührt sind.

Begehren ist im Kino, insbesondere in Hollywood-Filmen, fast immer an Schönheit geknüpft. Das Verlagen durchschnittlicher Menschen kommt nicht vor.

Es wäre großartig, einmal einen Film über zwei Behinderte zu machen. Stellen Sie sich vor: zwei Menschen im Rollstuhl beim Koitus. Die Leute wären geschockt und würden schreien: Mann, was zum Teufel machen diese Krüppel da! Irgendjemand muss das mal machen, vielleicht ich selbst… Aber es gibt noch immer eine Barriere, über diese Themen nachzudenken. Gehen Sie damit mal zu einem Hollywood-Studio!

Die Mutter nennt sich an einer Stelle selbst einen „formlosen, alten Klumpen“. Was ist der Grund für diese untrennbare Verbindung von Jugend und Schönheit? Könnte nicht die Reife alter Menschen als schön empfunden werden und die Jugend als unreif und hässlich?

Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass wir unsere ersten Erfahrung mit unseren Müttern machen. Und Mütter sind normalerweise ziemlich jung. Die erste nackte Frau in deinem Leben ist deine relativ junge Mutter.

Je überwältigender die Körper in Werbung und Film dargestellt werden, je perfekter die Körper durch Zukunftstechniken wie Klonen oder die Transplantationsideen Ihres Romans modelliert werden können, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass scheinbar hässliche Menschen ausgegrenzt werden.

Alle, die unter einem gewissen Standard bleiben, gelten dann als unfertig. Ihr Leben scheint wertlos. Unsere Schönheitsideale werden dabei zu einer Form der Folter. Wenn du die Vorstellung hast, du müsstest fit und cool sein und ausgezeichnet aussehen, du dich aber fett und alt und dumm fühlst, ist das sehr demütigend. Irgendetwas verfolgt dich und sagt dir ständig: Wie immer du auch bist, was immer du auch tust ― du kannst nur versagen. Man muss aber begreifen, dass wirkliche Menschen in wirklichen Körpern nicht wie Fotos von Britney Spears aussehen.

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